Die Pforten der Ewigkeit
seid doch zugegen, ehrwürdiger Vater«, sagte Äbtissin Lucardis und hob die Schultern. »Ich hielt es unter diesen Umständen nicht für unschicklich.« Sie nickte zu Bischof Heinrichs Empörung dem Juden freundlich zu und kauerte sich dann neben dessen weinende Frau. Sie nahm die Schluchzende in den Arm.
»Lasst die Jüdin in Ruhe, sie ist selbst schuld an ihrem Unglück!«, sagte der Bischof und stellte fest, dass er nur halblaut gesprochen hatte. Wie immer jagte ihm die Zisterzienseräbtissin so etwas wie Respekt ein. Trotzig hängte er sich den Mantel um die schmalen Schultern. Das Kleidungsstück stand zwei Handbreit auf dem Boden auf. Bischof Heinrich ahnte, dass er darin aussah wie ein Schildständer, über den man eine extra große Schabracke zum Trocknen geworfen hat. Verärgert wandte er sich dem grau gewandeten, unterernährten Mönch zu, der erschauernd im Saal stand und die Hände in die Ärmel seiner Kutte steckte. Mit ihm war ein Schwall von Pferdegeruch in den Saal gedrungen. Seine Kutte war bis über die Knie durchnässt und verdreckt.
»Hättet Ihr wohl die Güte, mir zu sagen, wer Ihr seid, eh?«
»Das ist Bruder Hildebrand von den Zisterziensern in Ebra«, sagte Propst Rinold. Er wirkte aufgeregt und aus unerfindlichen Gründen gut gelaunt, obwohl er für diesen Auftritt aus der Christvesper hatte geholt werden müssen. »Bruder Hildebrand .«
»Und was will Bruder Hildebrand von den Zisterziensern in Ebra hier?«, fragte der Bischof mit Betonung. Die beiden Soldaten, die links und rechts des Juden standen, zogen die Köpfe ein.
»Er ist einer der Zeugen, ehrwürdiger Vater. Einer der Zeugen .«
»Was? Was will er denn bezeugen? Wo ist Albert Sneydenwint, mein Kämmerer?«
Bischof Heinrich hatte den Eindruck, dass ein schneller Blickwechsel zwischen Propst Rinold und Äbtissin Lucardis stattfand. »Herr Sneydenwint fühlt sich unpässlich«, sagte die Zisterzienserin.
»Wie? Ich habe vor dem Beginn der Christvesper noch mit ihm gesprochen!«
»Eine plötzliche Schwäche, ehrwürdiger Vater.« Das Gesicht Lucardis’ hätte für eine Heiligenstatue Modell sein können, so betont ausdruckslos war es.
Der Bischof stemmte die Hände in die Hüften. Der Mantel rutschte von seinen Schultern und bildete einen großen Stoffhaufen auf dem Boden, der ihm bis zu den Knien reichte. »Und wo ist mein vermaledeiter Assistent!?«
»Hier, ehrwürdiger Vater«, sagte Hartmann, der die ganze Zeit über direkt neben dem Propst gestanden hatte.
Bischof Heinrich blinzelte irritiert. »Was soll das alles bedeuten?«, zischte er.
»Ehrwürdiger Vater, leider ist Eure Überraschung aus Versehen schon vorher verraten worden«, sagte Propst Rinold an Hartmanns Stelle. » Vorher verraten worden. Aber wir wissen es zu schätzen, dass Ihr und Reb Daniel uns zum Christfest ein Geschenk machen wolltet, also seid bitte nicht verärgert, dass wir schon Bescheid wissen.« Zu Bischof Heinrichs heilloser Verblüffung trat der Propst vor den Juden und schüttelte ihm die Hand. »Gesegnetes Christfest, Reb Daniel. Eure Geste ist außerordentlich großzügig.«
Für den Bruchteil eines Herzschlags flackerte die gleiche Fassungslosigkeit, die Bischof Heinrich spürte, auch über die Züge des Juden. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. Nur wer ihn gut kannte, hätte das leichte Zögern bemerkt. »Äh … gesegnetes Christfest auch für Euch, Herr von Gleißenstein.«
» Außerordentlich großzügig«, wiederholte Rinold von Gleißenstein. Er strahlte den Bischof an. »Formidabel, wie Ihr das eingefädelt habt, ehrwürdiger Vater. Natürlich ist uns klar, dass Ihr einen Vorwand gebraucht habt, um uns hier zusammenzuholen an so einem Tag. Die Ausrede, einer der verdientesten Bürger Papinbercs solle enteignet werden, ist zwar«, der Propst hüstelte, »etwas … ahem … drastisch, aber mir ist klar, dass Ihr die freudige Überraschung dadurch umso größer ausfallen lassen wolltet. Umso größer .«
»Was soll das alles bedeuten?«, brüllte der Bischof, der immer noch inmitten der Falten des teuren Mantels stand.
Propst Rinold tat so, als habe er den Ausbruch nicht wahrgenommen. Er deutete auf den Mönch. »Der heilige Bruder hat Eure schöne Überraschung leider unfreiwillig enthüllt, ehrwürdiger Vater. Er tat es aber mit bester Absicht, das kann ich Euch versichern.«
Bruder Hildebrand trat vor. Es sah beinahe so aus, als habe ihm Hartmann heimlich einen
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