Die Pforten der Ewigkeit
Kind kein Bastard. Welches schönere Geschenk konnte Meffridus ihr zum Christfest machen?
Hochwürden Fridebracht brachte in einem leiernden Latein, das im alten Rom kein Mensch verstanden hätte, die Messe im Schneckentempo voran. Er schien sich zu sagen, dass er, wenn die Kirche schon einmal voll war, es auch genießen konnte. Die ersten Messbesucher wechselten bereits gelangweilte Blicke, und da und dort wurden halblaute Gespräche geführt. Der Pfarrer war ein in feurigem Rot, tiefem Blau und allen möglichen Gold- und Silbertönen wabernder Farbklecks unter den in der Mehrzahl mit dunklen grauen Wollmänteln gekleideten Messbesuchern. Sein Priesterornat musste ein kleines Vermögen wert sein. Elsbeth hatte noch nie gesehen, dass er ihn getragen hätte. Ohne wirklich daran interessiert zu sein, fragte sie sich, wie er sich dieses Kleidungsstück hatte leisten können. Es musste in Rom angefertigt worden sein – und mindestens für einen Prälaten.
Das Kirchenportal flog mit einem Krach auf, dass alle zusammenfuhren. Pfarrer Fridebracht wirbelte herum. Männer in regennassen Waffenröcken, Panzerhemden und Helmen auf dem Kopf trampelten herein. In der Kirchengemeinde schrien ein paar Frauen auf. Der Pfarrer starrte mit offenem Mund. Die Soldaten waren knapp zwei Dutzend. Sie liefen nach links und rechts auseinander und an den Seitenwänden des Kirchenschiffs entlang bis nach vorn zum Allerheiligsten. Innerhalb weniger Herzschläge hatten sie die Christvespergemeinde umstellt. Regen wehte zum aufgerissenen Kirchenportal herein. Dann erschien ein Reiter auf seinem Pferd, bückte sich unter dem Türsturz hindurch – erneut schrien ein paar Stimmen erschrocken auf, als der Mann in die Kirche hereinritt. Der Reiter hatte sein Schwert gezogen und hielt die Klinge quer über dem Sattelrand.
Und Elsbeth war mit einem Schlag wieder in der Vergangenheit, in Colnaburg, im Hildeboldsdom, im Jahr 1245.
23.
SANKT MAURITIUS, WIZINSTEN
»Keinen Mucks!«, brüllte Rudolf von Habisburch, kaum dass er sich wieder gerade im Sattel aufgerichtet hatte. Er verzichtete darauf, das Schwert zu heben; er wusste, dass es eindrucksvoller war, wenn er so tat, als brauche er es gar nicht. Im gleißenden Licht im Kircheninneren tanzten Fehlfarben vor seinen Augen. Er hatte den Gesichtsschild seines Helms hochgeklappt. Sie sollten sehen, wer es wagte, es ganz allein mit einer ganzen Stadt aufzunehmen. »Und keine unziemlichen Tapferkeiten!«
Mindestens vierhundert Gesichter starrten ihn voller Schreck an. Er grinste. Die Kirche war zum Bersten voller Gläubiger. Von der Größe der Stadt her hatten er und Gabriel ihre Einwohner auf höchstens sechs- bis siebenhundert Erwachsene geschätzt und die doppelte Anzahl Kinder. Hervorragend – es bedeutete, dass der Großteil davon hier in der Kirche war. Wenn Bruder Michael – Meffridus! – hier in der Kirche war, saß er bereits in der Falle. Und wenn er zu Hause geblieben war, würde sein Sergeant mit den anderen zwanzig Männern, die alle Häuser durchkämmten, in denen ein Licht brannte, ihn binnen kurzem hinter dem Ofen hervorgezerrt haben. Er grinste noch breiter und genoss das Entsetzen in den Gesichtern der Menschen und die beginnende Furcht auf dem Gesicht des alten Pfarrers vorn beim Altar. Der Narr war kostbarer gekleidet als ein römischer Prälat. Wahrscheinlich hielt er Rudolf für einen gesetzlos gewordenen Ritter, der die Christnacht nutzte, um seinem trostlosen Dasein etwas geraubten Glanz zu verleihen – es gab weiß Gott mittlerweile etliche davon. Sie würden alle baumeln, wenn er, Rudolf, erst den Schatz in Händen hielt und als Kaiser für Ordnung sorgte! Er trieb sein Pferd in das Mittelschiff hinein, in die Gasse zwischen den Weibern und Kindern auf der linken und den Männern auf der rechten Seite.
»Alles herhören!«, schrie er. »Ich suche …«
Eine Gestalt kam ihm entgegen, eine Gestalt in einem weiten, grauen Mantel mit einer Kapuze auf dem Kopf. Sie war nicht viel größer als ein halbwüchsiges Mädchen. Sie schritt auf ihn zu, als säße er nicht auf einem Pferd mit einer Waffe in der Hand, als wäre ihr gar nicht bewusst, dass sie als Einzige einer zwanzigköpfigen Gruppe schwerbewaffneter Soldaten und einem Ritter entgegentrat.
Für einen Augenblick schwankte die Welt um Rudolf herum, als er erkannte, wie sehr die Situation einem anderen Erlebnis in einer Kirche ähnelte – auch damals war er auf einem Pferd in ein Gotteshaus
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