Die Pforten der Ewigkeit
Tore der Stadt aufgebrochen wären. Nun fuhr er herum und rannte zu der Leiter, die vom Turm nach unten führte. Guilhabert und die anderen folgten ihm.
»Rogers, du bleibst hier und passt auf Jung-Ramons auf!«, brüllte der Graf, dann war er die Leiter hinunter.
Rogers starrte fassungslos auf das Schlachtfeld. Die feindlichen Ritter donnerten an der rechten Flanke über das Schlachtfeld hinaus, machten einen exakten Schwenk und bereiteten sich im gestreckten Galopp auf einen zweiten Angriff vor. Es war nicht zu erkennen, ob außer dem einen an der Mauer auch noch andere gefallen waren. Die Flammenfarben des größten Banners an der Spitze des Angriffskeils tanzten über dem Schimmer der Rüstungen. Unten sah er seinen Vater und seine Gefährten hinausgaloppieren, gefolgt von ihren Rittern. Die ganze Zeit über hatten die über fünfzig waffenstarrenden Männer ehrfurchtgebietend und einschüchternd gewirkt. Jetzt, angesichts der vierfachen Übermacht, die in geschlossener Formation über das Feld donnerte, wirkten sie nur mehr lächerlich. Würgende Angst um seinen Vater schnürte Rogers’ Kehle zu.
Die Kavalkade der Angreifer löste sich auf, als die Ritter von Graf Ramons in ihre Welle hineinstießen. Aus dem Sturmangriff wurde ein Gewimmel aus sich aufbäumenden Pferden, erhobenen Schwertern und aus dem Sattel stürzenden Männern. Rogers sah Ritter, die wie im Turnier mit eingelegten Lanzen aufeinander losstürmten, nur dass die Lanzen keine Krönlein, sondern tödliche Spitzen trugen und durch den Körper des Gegners hindurchfuhren, gleich ob er mit einem Panzerhemd oder einem Harnisch geschützt war. Er sah Schwertklingen, die in Helme schlugen und das Metall sprengten, als wäre es bloß Ton, sah zähnefletschende Gesichter, die plötzlich auseinanderklafften, sah Pferde zu Boden gehen und ihr Blut und ihre Eingeweide mit auskeilenden Hufen über die Männer daneben verspritzen. Die Soldaten, die in wilder Flucht über das Schlachtfeld gerannt waren, versuchten sich zu formieren, die überlebenden Bogenschützen spannten ihre Waffen, aber das Gemenge war zu dicht, um Freund oder Feind zu erkennen. Rogers’ Herz klopfte so wild, dass es ihm den Atem nahm.
Dann sah er etwas, was ihn noch mehr entsetzte als das Blutbad vor der Stadtmauer. Aus dem Bereich unterhalb des Belagerungsturms schoss eine kleine rot-silberne Figur auf einem Pferd hinaus auf das Schlachtfeld. Rogers fuhr herum. Er hatte die ganze Zeit gedacht, Jung-Ramons stünde neben ihm. Noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, war er schon halb die Leiter hinuntergestürmt und auf sein eigenes Pferd gesprungen. Zu spät fiel ihm ein, dass er seinen Helm und den Hersenier oben gelassen hatte. Barhäuptig und mit wehenden Haaren raste er los, bleich vor Schreck und Angst um seinen kleinen Bruder. Er sah ihn zweihundert Schritt voraus. Rücksichtslos hieb Rogers seinem Pferd die Sporen in die Flanken. Es wieherte und schnellte vorwärts. Rogers versuchte gleichzeitig den einen Stiefel in den Steigbügel zu bekommen, sein Schwert zu ziehen und auf dem Rücken des Gauls zu bleiben. Jung-Ramons verschwand im Gewühl, immer Graf Ramons hinterher, der, einen Keil von Männern hinter sich herziehend, durch die feindlichen Reihen pflügte, auf das rote Banner zu. Längst war aus dem Kavallerieangriff eine brutale Rauferei Mann gegen Mann geworden, bei der die Pferde stiegen und mit den Vorderbeinen ausschlugen und nichts mehr sich von der Stelle bewegte. Jung-Ramons tauchte aus dem Getümmel wieder auf, scheinbar unverletzt. Er schwang jetzt sein Schwert. Zwischen den gewaltigen Schlachtrössern der Ritter wirkte er noch kleiner und so, als spiele das Auge einem einen Streich.
Ein Ritter tauchte mit erhobener Klinge vor Rogers auf – er duckte sich weg und hatte das Gefühl, das Schwert an seinem Kopf vorbeizischen zu hören. Ein weiterer stürmte auf ihn zu. Rogers zerrte voller Panik an seinem Schwert, das immer noch in der Scheide steckte, doch einer der verbündeten Ritter krachte mit seinem Ross einfach in Rogers’ Gegner hinein, und beide gingen zu Boden.
Der Ritter unter dem roten Banner wendete sein Pferd und galoppierte auf einen gefallenen Gegner zu. Dieser kam schwankend auf die Knie und riss sich die Handschuhe herab, nahm den Helm und schleuderte ihn beiseite, hob beide Hände leer in die Höhe. Der rote Ritter galoppierte über ihn hinweg. Der Unterlegene überschlug sich zwischen den Pferdehufen wie ein Lumpenbündel und
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