Die Pforten Des Hades
feinem Kalk bestäubt. Es gab nur ein einziges Ornament, das schlichte Flachreliefeines Pferdekopfes, das uralte Symbol für Tod und Abreise.
In der Mitte der Lichtung erhob sich der aus getrocknetem Holz in Form eines rechteckigen Altars aufgetürmte Scheiterhaufen. Normalerweise hätte man die elfenbeinerne Bahre mit der Leiche dagegen gelehnt, wie Bahren gegen die Rostra auf dem Forum in Rom gelehnt werden, damit die Zuschauer den Toten ansehen können, während die Rede gehalten wird, doch Lucius Leiche wurde sofort außer Sichtweite auf den Scheiterhaufen gelegt, zweifelsohne aus Rücksicht auf seine entstellende Kopfwunde.
Sklaven brachten Klappstühle für die Familie herbei. Nachdem die Menge sich beruhigt hatte, trat Marcus Crassus vor den Scheiterhaufen. Die Versammlung verstummte endgültig. Über uns kreischte eine Möwe. Eine leichte Brise raschelte in den Baumkronen. Crassus begann seine Rede; seine Stimme verriet mit keinem Hauch die Unsicherheit oder Unentschiedenheit, die er mir am Abend zuvor offenbart hatte. Er hatte die ausgebildete Stimme eines geübten Redners, trainiert in allen Nuancen der Lautstarke, der Betonung und des Rhythmus. Er begann in einem leisen, ehrerbietigen Tonfall, der zunehmend kraftvoller wurde.
»Gelina, hingebungsvolle Gattin meines geliebten Vetters Lucius Licinius; Verwandte, die ihr von nah und fern gekommen sein mögt; Schatten seiner Vorfahren, repräsentiert durch ihre verehrten Bilder; Freunde und Mitglieder seines Haushaltes; Bekannte und Menschen von Baiae und den umliegenden Städten am Golf und in Kampanien: Wir sind gekommen, um Lucius Licinius zu bestatten.
Das hört sich so einfach an: Ein Mann ist gestorben, also lassen wir seinen Leichnam von den Flammen verzehren und bestatten seine Asche. Es ist ein gewöhnliches Ereignis. Und selbst die Tatsache, daß er eines gewaltsamen Todes gestorben ist, hebt es nicht hervor; heutzutage ist auch die Gewalttätigkeit gewöhnlich geworden. Zumindest unserer Familie sind durch Gewalt so viele Verluste und so viel Trauer auferlegt worden, daß wir gegenüber den Launen des Schicksals abgestumpft und mürbe geworden sind.
Und doch ist die heutige Anwesenheit von so vielen von euch Beweis, daß der Tod von Lucius Licinius keine Kleinigkeit war, genauso wenig wie sein Leben eine Kleinigkeit war. Er tätigte viele Geschäfte mit vielen Menschen, und wer von euch könnte sagen, daß er je etwas anderes als ehrlich gewesen wäre? Er war Römer, und er war die Verkörperung römischer Tugenden selbst. Er war ein guter Ehemann. Daß die Götter diese Ehe nicht mit Nachwuchs gesegnet haben - daß er keinen Sohn zurückläßt, der seinen Namen und sein Blut tragt, ihn zu ehren, wie er seine Vorfahren geehrt hat -, dieses Streben blieb ob der Tragödie seines viel zu frühen und bitteren Todes unvollendet.
In Ermangelung eines Sohnes, der sich um die trauernde Witwe kümmern und diesen sinnlosen Mord rächen könnte, sind diese Pflichten einem anderen zugefallen, einem Mann, der Lucius durch Blutsbande und lange Jahre gegenseitigen Respekts verbunden ist. Diese Pflichten sind mir zugefallen.
Die Nachricht, wie Lucius zu Tode gekommen ist, hat sich mittlerweile verbreitet. Ich habe keinen Zweifel, daß er ihm tapfer entgegengesehen hat. Er war kein Mann, der angesichts eines Feindes zurückgewichen wäre. Vielleicht war es sein einziger Fehler, daß er denen vertraut hat, die sein Vertrauen nicht verdient hatten - doch wer kann schon den Moment voraussehen, in dem eine verläßliche und lange Jahre benutzte Klinge abbrechen oder ein treuer Hund ohne jede Vorwarnung mit einem Mal bösartig wird?
Das Schicksal von Lucius Licinius ist leider beileibe kein Einzelfall. Lucius ist in gewisser Hinsicht sogar der Inbegriff eines guten Bürgers und des Staates selbst, denn sieht sich nicht plötzlich ganz Rom bedroht von einer Nation von Doggen, die aus Blutdurst und Raublust verrückt geworden ist? Lucius war ein weiteres Opfer einer Pest, die die Ordnung der Natur zu zerstören, unsere Tradition und Ehre auszulöschen und den normalen Umgang unter den Menschen zu pervertieren droht.
Diese Pest hat einen Namen, und ich werde ihn nicht flüstern, weil ich ihn nicht fürchte: Spartacus. Diese Pest ist selbst in das Haus von Lucius Licinius eingedrungen; sie hat die Bande der Pflicht und Treue zerstört; sie hat die Hand von Sklaven gegen ihren Herrn erhoben. Was in diesem Haus geschehen ist, kann nicht vergessen und vergeben werden.
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