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Die Pforten Des Hades

Die Pforten Des Hades

Titel: Die Pforten Des Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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Hände hinter dem Rücken verschränkt, auf und ab zu laufen.
    Ich hörte, wie ein Mann neben mir flüsterte: »Er hat Licinius wirklich absolut perfekt getroffen!«
    »Unheimlich!« stimmte seine Frau ihm zu.
    »Und denk bloß nicht, ich würde dich etwa nur nicht bezahlen, weil ich dich nicht bezahlen kann«, dröhnte der Erzmime weiter. »Das könnte ich sehr wohl! Und das würde ich auch! Nur daß ich schon bei sieben Läden in Puteoli, bei sechsen in Neapolis, bei fünfen in Surrentum, bei vieren in Pompeji, bei dreien in Misenum und bei zweien in Herculaneum verschuldet bin -«, der Erzmime schnappte nach Luft und atmete tief ein -, »nicht zu vergessen ein langfristiges Darlehen bei einem kleinen Großmütterlein, das hier in Baiae an der Straße Äpfel verkauft! Wenn ich alle meine Schulden bezahlt habe, kannst du wiederkommen und es mit einem anderen Gedicht versuchen, du epikureischer Narr, und vielleicht singe ich dann eine andere Melodie.«
    »Eine andere Melodie -«, tönte der Mann neben mir.
    »Eine andere Melodie singen!« sagte seine Frau und lachte begeistert. Offenbar hatte der Erzmime eine von Lucius Licinius Lieblingsphrasen eingeflochten.
    »Oh, ich weiß«, fuhr er fort, die Arme trotzig verschränkt, »ihr denkt alle, ich bestehe aus Geld, weil ich lebe wie ein König, aber so ist es nun mal nicht. Jedenfalls noch nicht.« Er wölbte und runzelte mehrmals hintereinander die Brauen. »Aber wartet nur, ich habe einen Plan. O ja, einen Plan, einen Plan. Einen Plan, um mehr Geld zu machen, als ihr Bonzen von Baiae mit einem Servierlöffel schlucken könntet. Einen Plan, einen Plan. Macht Platz für den Mann mit dem Plan!« blökte er, seine Rolle verlassend, und stürzte davon, um die anderen Spaßmacher einzuholen.
    »Einen Plan«, murmelte der Mann neben mir.
    »Genau wie Lucius immer gesagt hat«, meinte seine Frau lächelnd. »Immer kurz davor, reich zu werden - morgen!« Sie seufzte. »Nur daß statt dessen dies hier passiert ist. Der Wille der Götter -«
    »- und die Wege des Schicksals«, vollendete der Mann.
    Sergius Oratas Andeutungen über dunkle Machenschaften fielen mir wieder ein. Ein beunruhigender Verdacht nahm in meinem Kopf Gestalt an, entfaltete sich und verflog wieder, als die Wachsmasken kamen.
    Lucius Zweig der licinischen Familie war nicht ohne bedeutende Vorfahren. Ihre lebensechten Bilder in Wachs, die normalerweise in der Halle ausgestellt waren, wurden jetzt von Mimen, die der Designator speziell für diese Aufgabe engagiert und in die authentischen Trachten der jeweiligen Ämter gekleidet hatte, vor der Bahre hergetragen. Eine derartige Präsentation gehört zum festen Bestandteil der Bestattungsprozession jedes römischen Adeligen. Die maskierten Schauspieler schreiten feierlich, den Kopf zu beiden Seiten wendend, damit jeder ihr ausdrucksloses Gesicht sehen kann; dabei sehen sie aus wie die Toten. Doch so unterscheiden sich die Adeligen noch im Tod von den gemeinen Bürgern, die »Bekannten« von den »Unbekannten«: Sie stellen vor uns kleinen Lichtern in der Masse stolz ihre Ahnengalerie zur Schau, während wir selbst keine Ahnen haben, sondern nur Eltern und vergessene Vorfahren.
    Als nächstes kam nun Lucius Licinius selbst, aufgebahrt auf seiner elfenbeinernen Liege, eingerahmt von frisch geschnittenen Blüten und Zweigen und stark nach Duftölen riechend, die den Verwesungsgestank jedoch nicht völlig überdecken konnten. Crassus war der erste der Träger, seine Miene zeigte Ernst und Gelassenheit.
    Es folgte die Familie. Aus Lucius Zweig hatten nicht viele Licinier die Bürgerkriege überlebt, und die meisten von ihnen gehörten der älteren Generation an. Gelina, begleitet von Metrobius, führte die Gruppe an. In den Straßen von Rom habe ich Frauen auf Beerdigungsprozessionen oft vor Kummer stolpern und ihre Wangen in Mißachtung der Gesetze der Zwölf Tafeln mit Tränen benetzen sehen, doch Gelina weinte nicht. Sie tastete sich wie benommen vorwärts und starrte auf ihre Füße.
    Auffällig abwesend in der Prozession waren die Haussklaven des Toten.
    Nachdem die Familie vorbeigezogen war, schlössen sich die Zuschauer entlang der Straße an. Schließlich erreichte der Zug eine Lichtung an der Straße, wo die Linie der Bäume unterbrochen war und den Blick auf die Bucht freigab. In der Nähe war eine mannshohe Grabstätte offenbar frisch errichtet worden; die Steintafeln waren glatt und kein bißchen verwittert, die Erde um das Grabmal war ausgetreten und mit

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