Die Pforten Des Hades
nicht wahr? Aber wenn Orata Urin trinken kann...«
»Es war kein Urin, es war gegorener Gerstensaft. Ich sagte nur, daß es aussah wie Urin.«
Dionysius schmunzelte. »Dieses Getränk enthält nichts so Exotisches - oder sollte ich sagen Gewöhnliches - wie Urin.« Er trank einen Schluck und senkte den Becher; seine Lippen waren mit grünem Schaum überzogen. »Es ist auch kein Gebräu und kein bißchen magisch. Es ist nur ein Püree aus Brunnenkresse und Weinblättern mit meiner eigenen Mischung aus Heilkräutern - Gartenraute für gute Augen, Silphium für kräftige Lungen und Knoblauch für die Ausdauer...«
»Was auch erklärt«, bemerkte Faustus Fabius freundlich, »warum Dionysius stundenlang lesen und tagelang reden kann, ohne zu ermatten -während sein Publikum schon lange ermüdet ist!«
Allgemeines Gelächter erhob sich, und dann kam der junge Grieche mit einer Lyra. Es war Apollonius, der Sklave, der Marcus Mummius in den Bädern begleitet hatte. Ich warf Mummius einen Blick zu. Er gähnte und zeigte sich ziemlich desinteressiert, aber sein Gähnen schien mir gekünstelt, und sein leerer Blick strahlte Unbehagen aus. Die Lampen wurden kleiner gestellt und tauchten den Raum in Schatten. Gelina fragte nach einem Lied mit einem griechischen Namen - »ein fröhliches Lied«, wie sie uns versicherte -, und der Junge begann zu spielen.
Apollonius sang in einem griechischen Dialekt, von dem ich nur einzelne Wörter und Redewendungen verstand. Möglicherweise war es ein Hirtenlied, denn ich hörte ihn von grünen Feldern und großen, flauschigen Wolkenbergen singen, vielleicht aber auch eine Legende, denn seine goldene Stimme formte den Namen Apollo und kündete vom Sonnenlicht auf den glitzernden Wassern der Kykladen - »wie Kiesel aus Lapislazuli in einem Meer von Gold«, sang er, »wie die Augen der Göttin im Angesicht des Mondes«. Oder es war ein Liebeslied, denn ich verstand etwas von pechschwarzem Haar und einem Blick stechender als tausend Pfeile. Vielleicht war es aber auch ein Lied vom Verlust, denn in jedem Refrain sang er: »Nie wieder, nie wieder, nie wieder.«
Was immer es sein mochte, ein fröhliches Lied hätte ich es nicht genannt. Vielleicht war es auch nicht das Lied, das Gelina gemeint hatte. Sie lauschte mit nüchterner Intensität, und ihre Miene strahlte wieder dieselbe Mutlosigkeit aus wie am Nachmittag, als wir sie auf ihrem Balkon getroffen hatten. Keiner der Gäste lächelte; selbst Metrobius hörte, die Augen halb geschlossen, auf seine Art ehrerbietig zu. Doch trotz der unendlich traurigen und so seelenvoll vorgetragenen Melodie sah ich seltsamerweise nur eine einzige Träne im Raum. Ich beobachtete, wie sie über die graue Wange von Marcus Mummius hinunter kullerte, eine glitzernde Kristallspur im Lampenlicht, die sich in seinem Bart verlor, rasch gefolgt von einer weiteren.
Ich sah Apollonius an, dessen Lippen sich zitternd für eine perfekt intonierte Note öffneten, in der alles Herzeleid und die ganze Hoffnungslosigkeit der Welt mitzuschwingen schien. Ein Schauer lief über meine Haut, nicht wegen des Pathos des Liedes, sondern weil auf einmal von draußen der kühle Atem des Meeres herüberwehte. Mir wurde klar, daß Apollonius wie alle anderen Sklaven in drei Tagen tot sein und nie wieder einen Ton singen würde.
Mir gegenüber, im Schatten verborgen, bedeckte Marcus Mummius sein Gesicht mit den Händen und weinte leise.
ACHT
Wir waren großzügig untergebracht in einem kleinen Raum im Südflügel mit zwei üppig gepolsterten Sofas und einem dicken Teppich auf dem Boden. Eine nach Osten gerichtete Tür führte auf eine kleine Terrasse mit Blick auf die Kuppel über den Bädern. Eco beschwerte sich, daß wir keine Sicht auf die Bucht hatten, aber ich erklärte ihm, daß wir uns glücklich schätzen durften, daß Gelina uns nicht in den Ställen einquartiert hatte.
Er streifte seine Untertunika ab und hüpfte probeweise auf dem Bett herum, bis ich ihm einen Klaps auf die Stirn gab. »Nun, was meinst du, Eco? Wie stehen unsere Chancen?«
Er starrte einen Moment an die Decke, bevor er seine Nase gegen die Handfläche preßte.
»Ja, ich bin geneigt, dir zuzustimmen. Diesmal stehen wir direkt vor einer hohen Mauer. Man wird mich vermutlich so oder so bezahlen, aber wie kann diese Frau von mir erwarten, den Fall in drei Tagen aufzuklären? Eigentlich sind es nur zwei Tage, morgen und der Tag der Beerdigung; dann kommt der Tag der Spiele und, wenn es nach Crassus geht, die
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