Die Pforten Des Hades
aussahen, als würden sie ihre rudernden Gliedmaßen ausstrecken, um nicht zu stürzen. Die Priesterin schritt mit erhabener und unfehlbarer Balance voran, ohne je einen Fuß falsch zu setzen, während Eco und ich ihr rutschend und stolpernd folgten und immer wieder Steinschläge auslösten, wenn wir uns Halt suchend an einen Ast klammerten.
Der Ort war sicht- und windgeschützt, es herrschte tiefe Stille. Über uns kämpften sich Nebelfetzen über die Kuppe des Hügels und tauchten den Ort in ein bizarres Zwielicht aus Sonne und Schatten.
Als wir den Tempel betreten hatten, drehte sich die Priesterin zu uns um. Ihre Gesichtszüge blieben weiter im Schatten ihrer Kapuze versteckt. Ihre Stimme klang seltsam wie zuvor, so wie laut Äsop die Tiere sprechen würden, wenn sie aus ihren animalischen Kehlen menschliche Laute pressen könnten. »Offensichtlich«, sagte sie, »habt ihr keine Kuh mitgebracht.«
»Nein.«
»Auch keine Ziege.«
»Nein.«
»Nur eure Pferde, die als Opfer für den Gott ungeeignet sind. Habt ihr wenigstens Geld dabei, um ein Opfertier zu kaufen?«
»Ja.«
Sie nannte eine Summe, die mir nicht exorbitant vorkam; offenbar war die Sibylle von Cumae auch nicht mehr die gerissene Händlerin, die sie einst gewesen war. Ich zog das Geld aus meiner Börse und fragte mich, ob Crassus diese Ausgabe zusätzlich zu meinem Honorar als Spesen erstatten würde.
In dem Moment, in dem sie das Geld annahm, sah ich kurz ihre rechte Hand. Es war, wie ich erwartet hatte, die Hand einer alten Frau mit ausgeprägten Knochen und Altersflecken. Keine Ringe zierten ihre Finger, kein Armband ihr Handgelenk. Ich sah jedoch einen Klecks blaugrüner Farbe, genau der Ton, mit dem Iaia heute morgen letzte Tupfer auf ihr Wandgemälde gesetzt haben könnte.
Vielleicht sah auch sie den Farbklecks, oder sie war begierig auf das Geld. Jedenfalls schnappte sie die Münzen und ließ ihre Hand blitzschnell wieder im Ärmel ihres Gewandes verschwinden. Mir fiel auch auf, daß der Saum ihrer Ärmel von einem dunkleren Rot war als das übrige Kleidungsstück, offenbar blutbefleckt.
»Dämon!« rief sie. »Bring ein Lamm!«
Wie aus dem Nichts tauchte auf einmal ein Kind auf, ein Junge, der seinen Kopf zwischen zwei Säulen hindurchsteckte und genauso schnell wieder verschwunden war. Kurz darauf kam er mit einem blökenden Lamm über der Schulter zurück.
Es war kein normales Weidetier, sondern ein verwöhntes Tempellamm, das man für die rituelle Opferung gemästet, gesäubert und sorgfältig geschoren hatte. Der Junge schwang das Tier von seinen Schultern auf einen kurzen Altar vor der Apollo-Statue. Bei der Berührung des kalten Marmors quiekte das Tier, doch es gelang dem Jungen, es mit Streicheln und flüsternden Worten zu beruhigen, während er es geschickt fesselte.
Dann lief er behende davon und kam mit einem langen Dolch mit silberner Klinge und einem mit Lapislazuli und Granat besetzten Griff zurück, den er in seinen ausgebreiteten Händen trug. Die Priesterin nahm den Dolch, trat mit dem Rücken zu uns über das Lamm, hob die Waffe und murmelte Beschwörungsformeln. Ich erwartete eine längere Zeremonie, möglicherweise sogar eine Reihe von Fragen, deren Beantwortung viele Orakel von ihren Ratsuchenden erwarten, so daß ich ein wenig überrascht war, als plötzlich die Klinge aufblitzte und niedersauste.
Die Priesterin war geschickt und kräftiger, als ich gedacht hätte. Mit dem ersten Stich traf sie das Herz des Tieres und tötete es auf der Stelle. Ein wenig Blut spritzte, das Lamm zuckte mehrmals kurz, doch man hörte keinen Laut, nicht einmal ein Wimmern, als es sein Leben für den Gott hingab. Würden die Sklaven unten in Baiae genauso leicht sterben? In diesem Moment senkte sich eine plötzliche Kühle über den Ort, obwohl kein Lüftchen ging. Auch Eco spürte es. Ich sah, wie er neben mir zitterte.
Die Priesterin schlitzte den Leib des Tieres von der Brust zum Bauch auf und griff hinein, was die dunklen Blutflecken am Saum ihrer Ärmel erklärte. Sie wühlte einen Moment in den Gedärmen des Tieres herum, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. Dann drehte sie sich zu uns um, in der Hand das zuckende Herz und einen Teil der Eingeweide des Lammes. Wir folgten ihr in kurzem Abstand zu einer Seite des Tempels, wo ein primitiver Rost in die Steinmauer gehauen war. Der Junge hatte bereits ein Feuer geschürt.
Die Priesterin warf die Organe auf den heißen Stein. Es gab ein lautes Zischen und eine kleine
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