Die Pforten Des Hades
Explosion von Dampf. Der Rauch stieg auf und wurde dann wieder zur Mauer und in die Spalten des Steins gesaugt wie in einen Rauchfang. Die Priesterin stocherte mit einem Stock in den zischenden Eingeweiden herum. Der Geruch angesengten Fleisches erinnerte mich daran, daß wir es versäumt hatten, zu Mittag zu essen. Mein Magen knurrte. Die Priesterin warf eine Handvoll einer mir unbekannten Substanz auf den erhitzten Stein und löste eine weitere Rauchwolke aus. Ein seltsam aromatischer Duft wie von verbranntem Hanf erfüllte die Luft und ließ mich schwindeln. Neben mir schwankte Eco so heftig, daß ich den Arm ausstreckte, um ihn aufrecht zu halten. Doch als ich seine Schulter packte, sah er mich merkwürdig an, so als wäre ich derjenige gewesen, der getaumelt war. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und suchte die große Steinmauer über und vor uns ab, wo seltsame Gesichter in den Fugen und Schatten aufgetaucht waren.
Derartige Erscheinungen sind in der Nachbarschaft von heiligen Stätten nicht unbekannt. Ich hatte sie schon früher erlebt. Trotzdem wird man jedesmal unvermittelt von einem besorgten und skeptischen Kribbeln gepackt, wenn sich die Welt verändert und die Mächte des Unsichtbaren sich zu manifestieren beginnen.
Obwohl ich ihr im Schatten liegendes Gesicht nicht sehen konnte, wußte ich, daß die Priesterin mich beobachtete. Sie sah, daß ich bereit war. Wieder folgten wir ihr über einen steilen und steinigen Pfad den Hügel hinauf, bevor wir in eine dunkle, immer tiefer werdende Schlucht hinabstiegen. Der Weg kam mir unendlich weit vor und war so beschwerlich, daß ich gebeugt und mich immer wieder mit den Händen abstützend voranschritt. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß Eco dasselbe tat. Seltsamerweise war die Priesterin in der Lage, völlig gemessenen Schrittes und aufrecht zu gehen.
Wir erreichten den Eingang der Grotte. Als wir eintraten, streifte ein feuchtkalter Wind mein Gesicht, der einen seltsamen Duft wie von vielen vermodernden Blumen mit sich trug. Ich blickte nach oben und sah, daß die Grotte kein Tunnel, sondern eine hohe und luftige Kammer war, deren Wände überall von winzigen Löchern und zerklüfteten Spalten durchbrochen waren. Durch diese Öffnungen fiel ein dämmriges Licht in die Kammer, und der Wind, der seufzend hindurchwehte, blies zu einer sich ständig wandelnden Kakophonie, die bald wie Musik, bald wie ein vielstimmiges Stöhnen klang. Manchmal erhob sich eine einzelne Stimme über die anderen und verebbte - ein Triller wie von der Flöte eines Satyrs oder das schrille Kreischen eines berühmten Schauspielers, den ich als kleiner Junge einmal sprechen gehört hatte, oder der Seufzer, den Bethesda morgens vor dem Aufwachen tut.
Wir stiegen tiefer und tiefer in die Grotte hinab bis zu einer Stelle, wo der Gang enger wurde. Die Dunkelheit wurde undurchdringlicher, und der seltsame Chor wurde leiser und leiser. Die Priesterin hob ihren Arm und gebot uns Halt. Im trüben Licht wirkte ihr blutroter Umhang pechschwarz, so dunkel, daß sie aussah wie ein wandelndes klaffendes Loch, das sich im trüben Grau bewegte. Sie stieg auf eine niedrige Plattform aus Stein, fast wie eine Bühne, und einen Moment lang dachte ich, sie würde tanzen. Der schwarze Umhang wirbelte und drehte sich, bis er sich in sich selbst zu verheddern schien. Dann ertönte ein langes, jammervolles Kreischen, das mir die Haare zu Berge stehen ließ. Die Zuckungen waren kein Tanz gewesen, sondern die Windungen der Priesterin, als die Sibylle in ihren Körper eingefahren war.
Die schwarze Robe flatterte zu Boden und war jetzt nichts weiter als ein bauschiger Haufen Stoff. Eco machte einen Schritt nach vorn, um ihn zu berühren, doch ich hielt ihn zurück. Im nächsten Moment schien sich der Umhang erneut mit Leben zu füllen und sich zu erheben. Vor unseren Augen nahm die Sibylle von Cumae Gestalt an. Sie wirkte größer als die Priesterin, überlebensgroß. Sie hob ihre Hände und schlug die Kapuze zurück.
In der Dunkelheit war ihr Gesicht kaum zu sehen, und doch war mir, als könne ich ihre Züge mit einer übernatürlichen Klarheit erkennen. Ich tadelte mich für die Vorstellung, die Priesterin könne Iaia sein. Dies war zugegeben das Gesicht einer alten Frau, das Iaias in einigen oberflächlichen Aspekten ähnelte; der Mund hätte derselbe sein können, genau wie die hohen, vorstehenden Wangenknochen und die stolze Stirn -doch keine menschliche Stimme konnte derartige Laute
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