Die Pforten Des Hades
kleines Gefäß mit Eisenhut, auch Panthers Tod genannt, wieder zu verschließen, als sich hinter mir jemand räusperte. Im Flur stand der Sklave, der mich an der Tür empfangen hatte, und beobachtete mich mit mißbilligender Miene.
»Du solltest vorsichtig sein, bevor du deine Nase in diese Gefäße steckst«, sagte er. »Einige von ihnen enthalten überaus giftige Substanzen.«
»Ja«, stimmte ich ihm zu, »wie dieses Zeug hier. Eisenhut - man sagt, es sei aus dem Maul des Cerberus gesprossen, als Hercules ihn aus der Unterwelt hinaufgezerrt hat. Gut, um Panther zu töten, habe ich gehört - oder Menschen. Ich frage mich, warum deine Herrin es aufbewahrt.«
»Gegen Skorpionbisse«, antwortete der Sklave knapp. »Man mischt es mit Wein und macht kalte Umschläge damit.«
»Ah, deine Herrin kennt sich mit diesen Dingen vermutlich sehr gut aus.«
Der Sklave verschränkte die Arme und starrte mich an wie ein Basilisk. Langsam stellte ich das Gefäß wieder ins Regal und verließ das Zimmer.
Ich beschloß, einen Spaziergang entlang der Klippen jenseits des Dorfes zu machen. Die Nachmittagssonne schien warm, der Himmel war kristallklar. Ein Band aus kleinen Wölkchen zog am Horizont vorüber, und über mir kreisten und kreischten die Möwen. Der Nebel, der die Küste noch vor einer Stunde wie eine Decke umhüllt hatte, war verschwunden. Die Sibylle von Cumae kam mir so unwirklich vor wie die Dünste, die vom Averner See aufstiegen, als ob alles, was wir seit unserem Aufbruch in Baiae heute morgen erlebt hatten, ein langer Wachtraum gewesen wäre. Ich atmete die Meeresluft tief ein und war der Villa in Baiae und ihrer Geheimnisse auf einmal überdrüssig. Ich sehnte mich danach, wieder in Rom zu sein, durch die bevölkerten Straßen der Subura zu laufen und den Jugendbanden beim Trigonspiel zuzusehen. Ich sehnte mich nach der abgeschiedenen Stille meines eigenen Gartens, der Bequemlichkeit meines eigenen Bettes und dem Duft von Bethesdas Kochkünsten.
Dann sah ich Olympias vom Strand her über einen schmalen Pfad kommen. In einer Hand trug sie einen kleinen Korb. Sie war noch immer weit entfernt, doch ich sah, daß sie lächelte - nicht jenes zweideutige Lächeln, das sie in Gelinas Villa zur Schau trug, sondern ein echtes -, strahlend und zufrieden. Außerdem sah ich, daß der Saum ihrer Reitstola dunkel war, als ob sie bis zu den Knien im Wasser gewatet wäre.
Ich suchte die Gegend ab und fragte mich, woher sie gekommen sein konnte. Der Pfad, den sie beschritt, verschwand hinter einer Anhäufung kleinerer Felsen, und entlang des Ufers gab es kein Stückchen Strand. Wenn sie Muscheln oder Meerestiere sammeln wollte, mußte es in der Gegend um Gumae gewiß sicherere Stellen geben.
Als sie näher kam, versteckte ich mich hinter einem Felsen. Als ich ihn umrundete, um sie ungesehen beobachten zu können, nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Etwa hundert Schritte entfernt erblickte ich eine Gestalt, die mein Spiegelbild hätte sein können, wenn ich einen dunklen Kapuzenumhang und einen langen spitzen Bart getragen hätte. Dionysius, der Philosoph, stand genau wie ich hinter einem Felsen am Rande der Klippe und beobachtete verstohlen, wie Olympias den Hügel heraufkam.
Er sah mich nicht. Langsam schlich ich um den Felsen herum, bemüht, weder von Olympias noch von Dionysius entdeckt zu werden, und eilte davon, bis ich außer Sichtweite war. Ich lief zurück zu Iaias Haus und gesellte mich zu Eco auf der Terrasse.
Kurz darauf traf Olympias ein. Der Türsklave sprach leise mit ihr. Olympias verschwand in einem der Zimmer. Als sie wenig später wiederkam, trug sie eine trockene Stola und hatte auch keinen Korb mehr in der Hand.
»War euer Besuch bei der Sibylle ergiebig?« fragte sie freundlich lächelnd.
Eco runzelte die Stirn und wandte die Augen ab. »Schon möglich«, sagte ich. »Wir werden es auf dem Rückweg nach Baiae erfahren.«
Olympias sah verwirrt aus, doch nichts konnte ihre überschwengliche Laune dämpfen. Sie ging auf der Terrasse umher und strich mit den Fingern über die Blumen, die in ihren Töpfen blühten. »Sollen wir bald zurückreiten?« fragte sie.
»Von mir aus gerne. Eco und ich haben noch einiges zu erledigen, und Gelinas Haus wird sich zweifelsohne in einem Zustand fortgeschrittenen Durcheinanders befinden, wie es an einem Tag vor einer großen Beerdigung stets der Fall ist.«
»Ach ja, die Beerdigung«, flüsterte Olympias schwermütig. Sie nickte nachdenklich, und
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