Die Pforten Des Hades
das Lächeln auf ihren anmutigen Lippen verblaßte, als sie den Kopf senkte, um an einer Blume zu riechen.
»Die Seeluft tut dir gut«, sagte ich. Sie sah schöner aus denn je, ihre Augen leuchteten, und ihr goldenes Haar flatterte im Wind. »Hast du einen Spaziergang am Strand gemacht?«
»Einen kurzen Spaziergang, ja«, sagte sie, die Augen abwendend.
»Als du eben zur Tür hereingekommen bist, meinte ich, in deiner Hand einen Korb gesehen zu haben. Hast du Seeigel gesammelt?«
»Nein.«
»Muscheln?«
Sie wirkte unsicher. »Ich war eigentlich gar nicht direkt am Strand.« Das Funkeln in ihren Augen wurde trübe. »Ich bin oben an der Steilküste entlanggelaufen. Ich habe ein paar hübsche Steine gesammelt, wenn du es unbedingt wissen mußt. Iaia verwendet sie als Dekoration für ihren Garten.«
Kurz darauf brachen wir auf. Als wir durch die Halle zur Tür gingen, bemerkte ich, daß Olympias sich nicht die Mühe gemacht hatte, den Korb zu verstecken, sondern ihn weithin sichtbar in einer Ecke gegenüber dem Schemel, auf dem sonst der Türsklave saß, abgestellt hatte. Während Olympias durch die Haustür in die Sonne trat, blieb ich zurück. Ich machte einen Schritt auf den Korb zu und hob mit dem Fuß das ihn bedeckende Tuch an. Steine sah ich keine. Der Korb war bis auf ein kleines Messer und ein paar Brotkrumen leer.
Der Weg durch das steinerne Labyrinth und über die kahlen, windigen Hügel wirkte im strahlenden Sonnenlicht völlig anders, doch als wir in die Wälder um den Averner See kamen, spürte ich wieder die gleiche Atmosphäre unheimlicher Stille und Einsamkeit wie auf dem Herweg. Ich sah mich ein paarmal um, doch wenn Dionysius uns folgte, tat er es unauffällig.
Erst als wir den Felsvorsprung erreicht hatten, sagte ich Olympias, daß ich anhalten wollte. »Ich habe dir die Aussicht doch schon gezeigt«, wandte sie ein. »Du kannst sie doch nicht noch einmal bewundern wollen. Unten in Baiae ist es bestimmt ein wundervoller Tag.«
»Aber ich will es trotzdem sehen«, beharrte ich. Während Eco eine Stelle zum Anbinden der Pferde suchte, fand ich auf der linken Seite des Plateaus den Anfang des Pfades, genau wie die Sibylle es beschrieben hatte. Die Öffnung war durch einen Busch und ein paar alte Aste verdeckt, und der Pfad selbst war kaum noch zu erkennen und offensichtlich seit langer Zeit nicht benutzt worden. In der vom Nebel feuchten Erde fanden sich keine frischen Fußabdrücke, nicht einmal die Spur eines Tieres. Ich zwängte mich, gefolgt von Eco, durch das Gebüsch. Olympias protestierte, folgte dann aber auch.
Der Pfad wand sich in Serpentinen über kargen, felsigen Boden. Der Gestank des Schwefels wurde immer durchdringender, getragen von einer aufsteigenden Welle heißer Luft, bis wir die Gesichter mit unseren Ärmeln bedecken mußten. Schließlich erreichten wir einen breiten, seichten Strand aus gelbem Schlamm. Der See war anders, als man von oben vermutete, kein durchgängiges Gewässer, sondern eine Reihe miteinander verbundener Schwefeltümpel, über denen Dampfwolken standen und die nur durch schmale Felsbrücken voneinander getrennt waren. Über diese Brücken hätte man den See überqueren können, wenn man das Wagnis auf sich nehmen wollte und die Hitze und den Gestank ertragen konnte. Der Geruch der blubbernden Tümpel war beinahe überwältigend, doch mir war, als würde ich daneben einen noch unangenehmeren Gestank wahrnehmen.
Ich blickte auf. Wir standen beinahe direkt unterhalb der Felsplatte, von der wir abgestiegen waren. In der Felswand konnte ich keine Höhle oder einen anderen Unterstand entdecken. Ich schüttelte den Kopf, skeptischer denn je, was die Worte der Sibylle betraf.
»Wie sollte er uns hier treffen?« murmelte ich zu Eco. »An diesem Strand würde ich eher den Minotaurus erwarten als einen von Gelinas Sklaven.« Eco ließ seinen Blick über den Strand wandern, so weit es die trüben Dämpfe erlaubten. Dann zog er die Brauen hoch und wies auf etwas, das nur ein paar Schritte entfernt aus dem Wasser ragte.
Ich hatte es bereits gesehen und in der Annahme, es würde sich um ein Stück Treibholz oder irgendwelchen vom See aufgewühlten natürlichen Schutt handeln, nicht weiter beachtet. Jetzt betrachtete ich es eingehender, und mir wurde mit Entsetzen klar, worum es sich handeln mußte.
Eco und ich traten näher, Olympias folgte uns. Das Ding mußte zuvor tiefer in dem Tümpel gelegen haben, der kochende , ätzende Schlamm hatte es größtenteils
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