Die Pforten Des Hades
als Versteck genutzt wird, das Bild eines wunderschönen Mädchens, das einem Flüchtling Nahrung bringt, die verführerische Unwahrscheinlichkeit des Ganzen. Es klingt fast zu sehr wie eine Fabel, als daß es sich tatsächlich hätte ereignen können. Könnt ihr euch vorstellen, daß so etwas noch einmal passieren könnte? Daß sich derart seltsame Umstände, ein wenig verschoben, an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit wiederholen könnten?«
Dionysius war enorm von sich eingenommen und schnurrte wie eine Katze vor Entzücken über seine eigene Rhetorik, während ich mich dabei ertappte, statt dessen Olympias anzusehen, die sichtbar zitterte, und Iaia, die die Hand ihrer Schülerin ergriff und sie drückte, und zwar nicht zu sachte, so wie sich die Haut des Mädchens unter ihrem Griff weiß verfärbte.
»Willst du uns eine Art Rätsel stellen?« fragte Crassus, der schon wieder begann, sich zu langweilen.
»Vielleicht«, erwiderte Dionysius. »Vielleicht aber auch nicht. Es geschehen heutzutage viele seltsame Dinge in dieser Welt, beunruhigende Begebenheiten von der Art, wie sie sich ereignen, wenn der Wille der Götter verzerrt wird und die Grenze zwischen Sklaven und Freien verschwimmt. Inmitten solchen Chaos werden die unnatürlichsten Bündnisse geschmiedet und bösartiger Verrat blüht. Deshalb haben wir einen Mann wie Gordianus in unserer Mitte sitzen. Ist er nicht hier, die Wahrheit zu ergründen und unser Mißtrauen zu zerstreuen? Sag mir, Gordianus, hättest du etwas dagegen, wenn ich beschließen würde, bei dieser Suche nach der Wahrheit als dein Rivale aufzutreten? Der Philosoph gegen den Sucher? Was würdest du dazu sagen, Crassus?«
Crassus sah ihn finster an und versuchte genau wie ich, den Zweck dieses Ansinnens zu ergründen. »Wenn du damit meinst, daß du das Rätsel um den Mord an meinem Vetter Lucius lösen kannst -«
»Genau das meine ich. Parallel zu Gordianus habe ich meine eigenen Ermittlungen angestellt, wenngleich auf anderen Pfaden. Im Augenblick habe ich noch nichts zu enthüllen, doch ich glaube, daß ich schon sehr bald in der Lage sein werde, alle Fragen zu beantworten, die sich aus diesem tragischen Vorfall ergeben haben. Ich halte es für meine Pflicht als Philosoph und als dein Freund, Marcus Crassus.« Er fixierte sein Kinn zu einem starren, freudlosen Lächeln und blickte von Gesicht zu Gesicht. »Ah, doch jetzt muß das Mahl beendet sein, denn mein Gebräu ist eingetroffen.«
Dionysius nahm den Becher von einem Sklaven, der wortlos wartend neben seinem Sofa stand. Er nippte an dem grünen Schaum. Neben ihm wanden sich Olympias und Iaia, als wäre ihr Sofa mit winzigen Nesseln ausgestopft. Sie bemühten sich angestrengt, die stumme Panik zu verbergen, die sich ihrer, so schien es mir, langsam bemächtigt hatte, ein Bemühen, das ihnen kläglich mißlang.
FÜNFZEHN
»Keinen einzigen Bissen bis morgen Abend. Stell dir das vor!« Sergius Orata stand allein auf der Terrasse vor dem Eßzimmer. Als ich hinzutrat, sah er sich um und blickte dann wieder wehmütig zu den Lichtern von Puteoli hinüber, als könne er den Duft eines spätabendlichen Mahls riechen, das auf der anderen Seite der Bucht serviert wurde. »Fasten ist schon schlimm genug, aber erst recht nach einem derart kargen Essen. Mein Magen wird durch alle Grabreden hindurch knurren. Das hätte Lucius Licinius bestimmt nicht gewollt. Als er noch unter uns weilte, war jeder Abend ein Fest.«
Die Baumkronen rauschten in der kühlen Brise. Im Haus räumten die Sklaven leise die Überreste der abendlichen Tafel ab, man hörte das gedämpfte Klirren von Messern und Löffeln. Im Einklang mit dem feierlichen Ernst des Anlasses hatte es im Anschluß an das Essen kein Unterhaltungsprogramm gegeben. Sobald sich Marcus Crassus erhoben und entschuldigt hatte, hatten sich die anderen Gäste erleichtert zerstreut. Eco, der kaum noch in der Lage gewesen war, seine Augen offenzuhalten, war direkt ins Bett gegangen. Nur Orata und ich waren zurückgeblieben. Ich vermutete, daß er sich in der Aura des Abendessens herumtrieb wie ein frustrierter Liebhaber um das leere Bett seiner Geliebten und jedem Dufthauch und der Erinnerung dessen nachgrübelte, was er so sehnlich verlangte und doch nicht haben konnte.
»War Lucius Licinius derart ausschweifend?« fragte ich.
»Ausschweifend? Lucius?« Orata zuckte seine rundlichen Schultern. »Nicht gemessen an den Maßstäben von Baiae. Nach römischen Vorstellungen war er allerdings
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