Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
auszumachen. Schließlich kam sie zurück, enthielt sich aber jeden Kommentars.
Tóla half Eadulf, dem Toten wieder die Kleidung anzulegen.
»Wir müssen den Leichnam irgendwo zur Bestattung hinschaffen«, meinte Eadulf.
»In Fraigh Dubh, nicht weit von hier, gibt es eine kleine Kapelle mit einem Friedhof. Sie liegt an der Hauptstraße, die südlich von der Schwarzen Heide nach Cashel führt«, sagte Tóla. »Da soll auch ein neuer Priester sein, aber den kenne ich nicht.«
»Es wäre sinnvoller, vor der Beerdigung zu wissen, wer der Bestattete war, besonders, wenn es sich um einen Angehörigen des Adels handelt«, gab Eadulf zu bedenken.
»Das herauszufinden, braucht seine Zeit, so lange könnenwir ihn nicht unbestattet lassen«, entgegnete Fidelma. »Wir müssen uns von rein praktischen Überlegungen leiten lassen.«
Das sah Eadulf ein, und er bückte sich, um die Kleidung des Toten zu glätten. Plötzlich zog er mit einem kleinen Aufschrei die Hand zurück und steckte die Finger in den Mund.
»Was gibt es?«, fragte Fidelma.
»Ich hab mich geritzt. Muss etwas Spitzes gewesen sein.« Er bückte sich erneut, um die Ursache zu ergründen. Aus der Schwertscheide lugte ein Splitter hervor. »Merkwürdig«, murmelte er. »Ein zerbrochenes Stück Holz in einer kleinen Lederscheide, die am Schwertgurt befestigt ist.«
Jetzt war Fidelma gefragt, sie hakte die kleine Lederhülle von der Schwertscheide ab und holte mit gebotener Vorsicht das abgebrochene Holzstück heraus. Es war ein kleiner Amtsstab aus weißem Holz, Eberesche, wie sie vermutete. Die Spitze war gekappt, aber um das untere Ende war ein goldenes Band geschlungen.
Sie atmete hörbar aus, als sie es gewahr wurde.
»Kannst du damit etwas anfangen?«, fragte Eadulf, dem ihre bestürzte Reaktion nicht entging.
»Es bedeutet, dass dieser Mann ein Gesandter war oder so etwas Ähnliches«, sagte sie leise. »Nicht nur, dass er das Medaillon mit dem Wahrzeichen der Ui Máil, der Könige von Laigin, trug, er hatte auch den Amtsstab eines Gesandten bei sich. Manchmal tragen Herrscher von hohem Rang solche Amtsstäbe als Zeichen ihrer Vollmacht.«
Eadulf wusste, dass es so Brauch bei Fidelmas Landsleuten war. Dass aber laut Gesetz das Leben eines Boten oder Gesandten als unantastbar galt, selbst in Kriegszeiten, wunderteihn nach wie vor. Einer solchen Person durfte keinerlei Schaden zugefügt werden, und falls das dennoch geschah, konnten Blutfehden über Generationen hinweg die Folge sein bis zu dem Zeitpunkt, da eine Wiedergutmachung erfolgte. Es galt als ein abscheuliches Verbrechen, und die Entschädigung, die verlangt wurde, war hoch.
Gormán, der mit Enda etwas abseits bei den Pferden gestanden hatte, war Ohrenzeuge ihres Gesprächs geworden und trat zu ihnen heran.
»Was hätte aber einen Gesandten vom König von Laigin allein und zu Fuß hierher treiben sollen?«
Fidelma warf ihm einen raschen Bick zu. »Das ist eine gute und logische Frage, Gormán. Eine, die einer Antwort bedarf, und zwar schnell. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Adliger oder Gesandter hier im Dunkeln allein und zu Fuß unterwegs war. Genau deshalb habe ich die schlüpfrigen Uferböschungen auf beiden Seiten abgesucht. Ich fürchte, wir haben mit unseren Pferden etwaige Spuren verwischt. Angenommen, der Gesandte kam zu Pferde, von welcher Seite wäre er dann vermutlich gekommen?«
Die Frage war an Tóla gerichtet, und der wies, ohne zu zögern, nach Westen.
»Nicht weit von hier fließt unser Bach in den Suir, den großen Fluss. Der Übergang hier wird nur von den Einheimischen benutzt, die zunächst östlich vom Fluss entlangpilgern, sich dann landeinwärts halten, an dieser Stelle die Furt überqueren und weiter nach Cashel ziehen. Weiter südlich den Suir zu überqueren wird sehr viel schwieriger. Es besteht kein Grund, weshalb jemand aus dem Osten in dieses Gebiet kommen sollte. Schließlich gibt es von Norden her eine gute Straße, die direkt nach Cashel führt.«
»Noch einmal, wenn dieser Mann aus der Richtung des Suir kam, könnte er am östlichen Ufer entlanggeritten sein, sich dann dem Fluss hier zugewandt haben, um ihn an dieser Stelle zu überqueren und weiter nach Cashel zu reiten?«
»Das wirft aber noch mehr Fragen auf«, meinte Gormán, nachdem Tóla Eadulfs Überlegungen bestätigt hatte. »Ein Mann von solchem Stand wäre gewiss mit einer Gefolgschaft, zumindest mit einem Begleiter unterwegs; das wiederum würde bedeuten, dass er sich für die
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