Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Superkraftprobe.
Verstohlen blickte ich mich noch einmal sorgfältig um, dann zerrte ich mit beiden Händen an dem hölzernen Koloss. Er glitt so leicht über den Boden, als seien Rollen darunter.
Mit gerunzelter Stirn beugte ich mich vor. Ich konnte keine Rollen entdecken. Vorsichtig zwängte ich meine Finger unter das Ungetüm und hob es an. Die Vitrine schwebte mehrere Zentimeter über dem Boden, während sich meine Armmuskeln spannten.
„Guuut“, murmelte ich. „Superkraft funktioniert prima.“
Jetzt, da ich die Möbel beiseitegerückt hatte, kam ich an die Schmuckstücke problemlos heran. Meine Bewegungen waren dabei so schnell, dass sie selbst für meine hervorragenden Augen nicht mehr klar erkennbar waren. Innerlich war ich darauf eingestellt, dass mir das Kreuz die Haut versengen würde, aber nichts dergleichen geschah.
Nachdenklich betrachtete ich den kleinen silbernen Anhänger mit dem gekreuzigten Jesus. Jimmy hatte es verbrannt, mich aber nicht.
Erst als sein Blut mit dem des Hexenmeisters vermischt worden war, waren seine Vampiranteile erwacht. Davor war er bloß ein Dhampir gewesen – mehr Mensch als Vampir. Daraus folgte also: Solange ich mein Blut nicht mit dem eines Vampirs mischte, konnte ich glücklich und ohne Reißzähne leben. Das Wort „Erleichterung“ beschrieb mein Gefühl nur unzureichend.
Ich stopfte die drei Sachen in die nächstbeste Schublade. Die Kette war gerissen, und der Türkisanhänger brachte Jimmy sowieso nur zur Weißglut. Und das konnte ich auch ohne Anhänger ganz gut selbst.
Der Fahrstuhl öffnete sich. Ich wirbelte herum und schloss währenddessen die Schublade. Ob sie meine Superfrau-Show in eine der versteckten Kameras gesehen hatten? Das wäre gar nicht gut. Wenn der Hexenmeister herausfand, dass ich mir übernatürliche Fähigkeiten durch Sex einverleiben konnte, dann läge ich wahrscheinlich noch heute Nachmittag flach in seinem Bett und würde heute Nacht schon mit den Bösen ziehen.
Zwei Vampirlakaien traten ein – andere als die letzten –, beide waren diesmal Männer, einer Asiate, einer ein Schwarzer.
Vampire , sagte Ruthie.
Das hätte ich auch ohne Ruthies Geisterstimme gewusst. Ihre Anzüge sahen, zumindest in diesem Umfeld, wie eine Art Vampiruniform aus. Auch wirkten alle Sicherheitsvampire, als würden sie zwischen ihren Hormoncocktails statt Gewichten Lastwagen stemmen.
Wie beim letzten Mal ergriffen sie mich an den Armen und hoben mich hoch. Dabei rutschte das Handtuch langsam Stück für Stück hinunter, bis es mit einem weichen frotteehaften Geräusch zu Boden ging.
Mich störte eigentlich weniger meine Nacktheit – die angeheuerten Schläger nahmen sowieso keine Notiz davon –, vielmehr machte ich mir wegen meiner augenfälligen Fähigkeit, schnell zu heilen, Sorgen. Hätte ich einen Schal zur Hand gehabt, hätte ich ihn mir um den Hals geschlungen. Aber da ich noch nicht einmal mehr meinen Frotteesarong hatte…
Ich strampelte mit den Beinen. „Darf ich Sie etwas fragen?“
Sie antworteten mir nicht, sondern schleppten mich unter vollem Körpereinsatz zum Fahrstuhl.
„Wo bringen Sie mich denn hin?“
Die Vampire zuckten nicht einmal mit der Wimper.
„Sprechen Sie meine Sprache?“ Keine Reaktion. „Können Sie überhaupt reden?“
Die Türen öffneten sich, und wir standen direkt in einem Zimmer. Wenn die Inneinrichtung im Penthouse im Stil von Larry Flynt gestaltet war, dann hatte hier Scheherazade von Tausendundeiner Nacht zugeschlagen. Auf dem marmornen Boden lagen überall Kissen, Brunnen gluckerten, und an den Wänden hingen hauchzarte Seidengespinste, die sich im Luftzug leicht bauschten.
Auf den Kissen rekelten sich Frauen mit blonden, schwarzen und roten Haaren, mit goldener, roter und schwarzer Haut. Bei genauerem Hinsehen stellte ich allerdings fest, dass sie nicht ganz so nackt waren wie ich. Denn alle trugen Ketten um die Taille.
Ich sah genauer hin. Bei den Ketten handelte es sich nicht um kunstvolle Goldkettchen, sie waren robuster und ihre Glieder groß genug, um eine Leine daran zu befestigen, jedenfalls zu stabil, um sie mit der bloßen Hand oder sogar mit einem Hammer zu zerbrechen.
„Warum nicht gleich ein Halsband?“, murmelte ich.
„Wie ihr so schön zu sagen pflegt: Es würde meinem Stil Abbruch tun.“
Bei den Worten des Hexenmeisters ließen mich die Testosteronzwillinge los, und ich landete ganz unvermittelt auf meinen Füßen. Ich geriet ins Straucheln und hätte beinahe einen Köpfer
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