Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Seidenkrawatte.
Die Einrichtung wirkte ebenfalls modern. Glänzendes Chrom und Glas. Es musste eine Art von Büro sein, denn ich konnte einen Schreibtisch mit fein säuberlich gestapeltem Papier und einem Telefon erkennen; um den Tisch, an dem er stand, standen in regelmäßigem Abstand Stühle.
Auf einmal ließ er die Hände sinken und ging auf die Vorhänge zu, die er mit einem Ruck zur Seite zog. Sonnenlicht durchflutete den Raum, und vor den Fenstern ragte die Silhouette einer blühenden Metropole auf.
Ich kannte diesen Ort. Hatte ihn tagelang ohne Unterbrechung im Fernsehen gesehen, das war im September 2001. Von diesem Fenster aus konnte ich das Loch in der Häuserreihe erkennen, dort, wo die Türme gefallen waren. Und als wäre das nicht schon Hinweis genug, sah ich rechts auf der gegenüberliegenden Straßenseite auch noch das Empire State Building emporragen.
Wir befanden uns in New York, und hier war auch Jimmy.
29
A brupt erwachte ich aus meiner Vision, fiel von der Bettkante und konnte mich gerade noch rechtzeitig abfangen, bevor ich mit dem Gesicht zuerst auf dem Boden aufgeschlagen wäre. Zitternd blieb ich liegen. Visionen waren ja vielleicht ätzend!
Irgendwie schaffte ich es, auf die Beine zu kommen. Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren, sondern musste sofort Jimmy anrufen. Bloß dass mein Telefon keinen Saft hatte.
Ich zog an, was gerade griffbereit herumlag, und rannte zur Tür. Dort stieß ich mit Sawyer zusammen.
„Ich brauche meinen Akku fürs Handy. Sofort.“
Er sah mir prüfend ins Gesicht. „Du hattest eine Vision. Was hast du gesehen?“
„Etwas, das Strega heißt.“
„Hexe oder Hexenmeister“, murmelte er.
„Ja“, sagte ich zustimmend. „Der Zauberspruch hat ihn verraten.“
„Zauberspruch?“
„Eine Schale voller Blut, Herumgefuchtel und ein Mantra, das ich nicht hören konnte.“
Sawyer runzelte die Stirn. „Du weißt, was das bedeutet?“
„Nein, aber ich weiß, dass eine Schale mit Blut nicht gerade ein gutes Omen ist.“
Sawyer verließ das Zimmer und kam kurz darauf mit einem Buch zurück, dessen Seiten so alt aussahen, als seien sie aus Papyrus. Die krakelige Schrift auf dem Einband war schon ganz verblasst. Man konnte darauf bauen, dass Sawyer seine Informationen nicht aus dem Netz bezog. Nein, er hatte natürlich ein Buch, das so alt war wie Methusalem und noch mit einer Feder geschrieben war.
Er schlug es auf und blätterte darin, dann sah er mir in die Augen. „Das ist das Wesen, das für Ruthies Tod und den der anderen verantwortlich ist.“
Ich schoss hoch und griff nach dem Buch. „Woher weißt du das?“
„Weil er nicht nur ein italienischer Hexenmeister aus dem Mittelalter, sondern auch ein Vampir ist, der die Macht hat, Tiere zu befehligen. Also, wenn er sie auch nicht direkt getötet hat…“
„Hat er sie doch geschickt, es für ihn zu tun.“
Auf einmal passte alles zusammen. Wir hatten ja schon längst gemutmaßt, dass der Jüngste Tag nur von einem außergewöhnlich mächtigen Nephilim ausgelöst werden konnte. Und ein Meister der Hexenkunst aus dem italienischen Mittelalter wäre genau der Richtige.
Ich überflog den Text, runzelte die Stirn und blickte Sawyer an. „Da steht nirgends, wie man ihn zur Strecke bringt.“
„Vielleicht gibt es keinen Weg.“
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. „Das kann nicht sein.“
„Wirklich?“
„Ich muss Jimmy anrufen.“
Sawyer warf mir meinen Akku zu. Ich schnappte ihn mir und stellte zufrieden fest, dass ich ein Netz hatte. Dann drückte ich solange herum, bis Jimmys Nummer auf dem Display erschien. Bloß der Anrufbeantworter.
„Ich bin es“, sagte ich. „Liz. Ruf mich umgehend zurück.“
Irritiert legte ich auf. „Es hat noch nicht einmal geklingelt.“
„Du musst mir schon sagen, was dich daran verwundert. Ich habe nie eines dieser Dinger besessen.“
„Was?“ Ich blickte auf. „Oh. Wenn ohne ein Klingeln gleich der Anrufbeantworter anspringt, dann ist das Handy entweder ausgeschaltet oder hat keinen Saft mehr.“
„Oder es liegt auf dem Grund des Meeres zusammen mit seinem Besitzer.“
„Was soll das?“
„Man darf ja wohl noch hoffen dürfen.“
„Ich muss sofort nach New York.“
Sawyer packte im Vorbeigehen meinen Arm. „Findest du es nicht bemerkenswert, dass ausgerechnet der, den du suchst, ein Vampir ist?“
„Ich habe das Gefühl, das sind neuerdings alle.“
Sein Griff wurde fester. „Hör mir gut zu.“ Knurrend stieß er die
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