Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Mittelfinger, während ich hinter dem Webteppich verschwand.
Sawyer lag ausgestreckt auf seinem Schaffell. Splitterfasernackt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, betrachtete er die Wolken durch den Rauchabzug.
„Klopfst du eigentlich nie an?“
„Warum hast du letzte Nacht mit mir geschlafen?“
„Wir haben nicht geschlafen.“
Mit dem Stiefel trat ich gegen seine bloßen Füße. Er verzog keine Miene, aber zumindest hörte er auf, die Wolken zu betrachten, und sah stattdessen mich an. Früher wäre ich unter einem solchen Blick zu Kreuze gekrochen, doch jetzt zog ich nur eine Braue hoch und drängte wieder: „Warum?“
„Du warst ja so beharrlich.“ Er hob die eine Schulter leicht an und ließ sie wieder sinken, dabei schimmerte seine Haut sanft und verführerisch auf dem Fell. „Warum sollte ich da Nein sagen?“
Was hatte ich denn erwartet? Dass er mich unwiderstehlich fand? Dass es bei dem Sex gestern nicht bloß um die Rettung der Welt gegangen war?
Ha, ha. Das glaubte ich ja selbst nicht. Hätte ich das denn überhaupt gewollt?
„Die Schlange hat gesagt, ich muss alles in meiner Macht Stehende tun, um in den Vollbesitz meiner Kräfte zu gelangen.“
„Und du hast gedacht, du musst es mit mir machen? Ich meine, ich hatte nichts gegen die Gratisnummer einzuwenden, aber nötig war es nicht.“
Er war wieder der Mann, den ich verabscheute; ohne Herz, ohne Seele und ohne jedes Mitgefühl. War er je anders gewesen? Heimtückisch hatte er mich dazu gebracht, mit ihm zu schlafen, gewissermaßen für das Wohl der Menschheit. Dass es mir gefiel, gefiel ihm wiederum, aber im Gegensatz zu mir hatte ihn der Sex kein bisschen verändert.
Mit dem einzigen Unterschied, dass ich keine Angst mehr vor ihm hatte. Für alles, was ich gesehen, und alles, was er vermeintlich getan hatte, würde es eine Erklärung geben. Er war ein Fellläufer, ein telepathischer Katalysator und noch viel mehr als das. Da auch ich jetzt die Magie angenommen hatte, mochte sie schwarz oder weiß sein, fürchtete ich mich auch nicht mehr. Diese Magie war ein Teil von mir geworden.
„Was meinst du mit Gratisnummer?“, fragte ich. „Hatte ich nicht wegen unseres Sex gestern die Vision von dem Nephilim?“
„Wohl kaum.“ Auf seinen schmalen Lippen erschien dieses überhebliche Lächeln, das in mir immer den Wunsch auslöste, ihm etwas an den Kopf zu werfen. „Ich habe überhaupt keine Visionen, Phoenix. Das Talent hast du ganz allein von Ruthie. Ich habe dir geholfen, dich zu öffnen, und dir meine Fähigkeit zum Gestaltwandeln gegeben, und zwar gleich beim ersten Mal, als du gekommen bist.“
„Was? Aber warum…“
Sawyer rekelte sich anzüglich auf dem Schaffell, als wollte er Reklame für einen Porno machen. Wollte er mich etwa ablenken?
„Ich meine… Wie? Was?“
„Was willst du jetzt wissen? Warum, wie oder was?“
„Erklär es mir“, presste ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. „Warum hatte ich die Vision erst heute Morgen?“
Entschuldigend streckte er die Hände aus, seine Bewegung, das Spiel seiner Muskeln unter der seidig glänzenden Haut, war elegant und verführerisch. „Vielleicht haben die, die dir die Visionen schicken, bislang noch nichts zu sagen gehabt.“
„Du hast Summer schon gestern Nacht gebeten, mich heute zum Flughafen zu bringen. Wie konntest du da wissen, dass ich jetzt eine Vision haben würde?“
„Das habe ich nicht. Aber ich wusste, du würdest früher oder später eine bekommen. Ich habe meine Aufgabe erfüllt, und nun ist es Zeit für dich zu gehen.“
War es Zeit für mich zu gehen, weil er alles für mich getan hatte oder weil er Gefühle entwickelt hatte, die er nicht haben wollte?
So oder so hatte Sawyer recht. Ich musste gehen. Wenn ich mich nur endlich hätte losreißen können.
„Ich habe jetzt alle deine Kräfte?“, fragte ich. Er nickte, und ich hatte urplötzlich ein ungutes Gefühl. „Ich kann das Land der Diné also nicht als Frau verlassen?“
Das konnte mir ernsthaft das Leben vermasseln. Wie sollte ich wohl als Wolf ins Flugzeug gelangen? Vielleicht war Summer deshalb hier. Sie konnte mir einen Käfig im Gepäckraum besorgen.
„Das ist keine Gabe“, sagte Sawyer sanft, „sondern ein Fluch.“
„Du wurdest verflucht? Von wem?“
„Von meiner Mutter.“
„Das wird ja immer besser“, murmelte ich.
„Sie wusste, dass ich sie töten würde, wenn ich hier wegkäme.“
„Lebt sie denn noch?“
„Was spräche denn dagegen?“
Ich rieb
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