Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
hatte ich noch nicht nachgedacht. Das hing vermutlich ganz davon ab, wer ihre Mutter war. Ich wünschte, ich wüsste es. Aber Wünsche hatten mir in meinem bisherigen Leben ebenso viel weitergeholfen wie Tränen – nämlich nicht das kleinste verdammte bisschen.
»Und wenn sie … ?« Luther unterbrach sich und presste die Lippen aufeinander, als wollte er verhindern, dass ein Geheimnis herauspurzelte. Dann sprang er auf die Füße, wobei er die Katze so sehr erschreckte, dass sie fauchend zurückwich und über ihre eigenen Pfoten stolperte. Doch als sie erkannte, dass es Luther war, beruhigte sie sich schnell, ließ sich von ihm hochheben und in seinen langen, schlaksigen Armen in Schutz nehmen, ohne ihn zu kratzen.
»… der Antichrist ist?«, brachte ich den Satz zu Ende.
Luther schloss die Arme fester um Faith. »Du wirst sie nicht umbringen. Das lasse ich nicht zu.«
Ich seufzte. Wenn ich die Welt vor der Vernichtung retten konnte, indem ich ein Baby ertränkte – würde ich das tun? Ich wusste es nicht, und das machte mich so verrückt, dass ich mich an jeden Strohhalm klammerte.
»Sawyer wollte, dass ich sie beschütze«, stieß ich hervor. »Er würde nichts Böses beschützen.«
»Sawyer ist … Sawyer«, entgegnete Luther. »Ich weiß nicht, was er tun würde, und ich glaube auch nicht, dass du das weißt. Seine Mutter war eine der durchgeknalltesten Irren aller Zeiten. Wer weiß schon, was für eine Scheiße sie mit ihm angestellt hat?«
»Wortwahl«, murmelte ich. So ungern ich es zugab, er hatte vollkommen recht. »Die Nephilim haben diese Typen geschickt, um sie zu töten. Warum sollten sie jemanden dafür bezahlen, ihren zukünftigen Anführer umzubringen?«
»Bist du dir sicher, dass sie von Nephilim geschickt wurden?«
Ich rieb mir die Schläfen. Der Junge fing an, mir auf die Nerven zu gehen.
»Ich weigere mich zu glauben, dass jemand, der zur Seite des Lichts gehört, Attentäter auf ein Baby hetzen würde.« Das bedeutete allerdings nicht, dass ich es nicht für möglich hielt. Ich weigerte mich einfach nur, es zu glauben.
»Die einzige Möglichkeit herauszufinden, wer ihren Tod will, ist, herauszufinden, wer sie sein wird. Und der Einzige, der das weiß, ist … «
»Sawyer«, beendete ich den Satz. »Was uns wieder zu unserem Ursprungsplan zurückbringt: Sanducci finden, das Baby in seine Obhut geben und uns dann auf den Weg in die Hügel machen.«
Luther stand auf. »Dann los.«
Da wir am Abend zuvor schon geduscht hatten, waren wir in zehn Minuten angezogen und unterwegs. Es wären sogar nur fünf gewesen, wenn Luther nicht daran gedacht hätte, mit Faith im hohen Gras Gassi zu gehen.
Ich machte mir keine Sorgen, dass sie davonlaufen und verschwinden könnte. Sie folgte Luther auf den Fersen: wie ein kleines Mädchen, das seinen großen Bruder anhimmelt. Ob das Kätzchen in ihr wohl das Löwenjunge in ihm spürte?
Nachdem Faith ihr Geschäft verrichtet hatte, steuerten wir den nächsten McDrive an und brachen dann in Richtung Badlands auf. In dieser Gestalt war Faith wesentlich pflegeleichter – kein Geschrei, kein Fläschchen, kein Betteln nach der Schmusedecke und auch kein Kampf mit dem Autokindersitz.
Sie rümpfte die Nase über die Pancakes der Country McGriddles, schlang jedoch das Burgerfleisch von ihrem und meinem herunter, schlabberte Wasser aus einer Tasse und ließ sich anschließend auf Luthers Schoß nieder, um mit den Sonnenstrahlen zu spielen, die auf seine Jeans fielen. Schließlich wurde ihr langweilig, und sie verkroch sich nach hinten auf die Rückbank. Als ich das nächste Mal nach ihr sah, war sie eingeschlafen.
Das Leben eines Kätzchens mochte wohl auch um einiges einfacher sein als das eines Menschenbabys. Sie konnte sich frei bewegen und richtiges Essen essen. Sie war in der Lage, so ziemlich alles zu tun, was ihr in den Sinn kam. Ich konnte es ihr nicht verdenken, dass sie in ihrer menschlichen Gestalt so viel schrie. Es musste ätzend sein, sich im Körper eines schwachen Kindes wiederzufinden, nachdem man die Freiheiten kennengelernt hatte, die man als flinke und clevere kleine Katze genoss.
Sechs Stunden später fuhren wir vom Highway ab und starrten in eine große, weite Leere. Dieses Gebiet, das die Lakota Maco Sica nennen, was – wörtlich übersetzt – kreativerweise so viel wie schlechtes Land bedeutet, war der Inbegriff der Trostlosigkeit. Spitzkuppen und Felstürme, Schluchten und Täler erstreckten sich in schier
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