Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
zurückverwandeln?«, fragte Luther, der sich seinen blutigen Finger in den Mund gesteckt hatte.
Ruthie war verschwunden, und der Junge war wieder da, was mir gut in den Kram passte. Wenn Jimmy in Gefahr war, brauchte ich Luthers Talent, die Kreaturen der Verdammnis zu bekämpfen, dringender noch als Ruthies Gabe, über sie zu reden.
»Gute Idee.« Kies spritzte unter den Reifen hervor, als ich uns wieder auf die Straße brachte. »Darum werde ich mich kümmern, sobald alles wieder etwas ruhiger ist.«
Luther schnaubte. »Von wegen.«
Und wieder hatte er recht. Für ihn und mich würde es nie wirklich ruhiger sein.
Der Berg mit der abgeflachten Spitze, dem wir uns gerade näherten, hieß den Schildern an der Straße zufolge Sheep Mountain Table – Gipfel 985 Meter über dem Meeresspiegel. Ich wusste nicht genau, wie hoch das war, aber von meinem Standpunkt aus kam es mir verflucht hoch vor.
Weiter oben war die Straße weniger befahren und eher ein Weg, der besser für Zweiräder geeignet war. Aber dem Impala lag das Aufgeben ebenso wenig wie mir, und er schaffte die Steigung. Kies klimperte gegen das Fahrgestell, Gestrüpp verfing sich in seinem Stoßfänger, Staub bedeckte den blassblau glänzenden Lack.
Ich fuhr schneller, als ich hätte fahren sollen, aber das Gefühl der Dringlichkeit, das Ruthies Stimme in mir hervorgerufen hatte, wurde immer stärker, je näher ich dem Gipfel kam. Ich konnte den Sturm geradezu riechen – süßen Regen und Ozon. Donner grollte, und Blitze zuckten über uns hinweg. Der Wind wirbelte Staubteufel auf, drehte die roten, braunen und grauen Erdpartikel zu tausend kleinen Zyklonen.
Wir kamen zu schnell über die Kuppe, und der Unterboden krachte scheußlich. Aber der Anblick, der sich meinen weit aufgerissenen Augen bot, zog mir den Magen noch mehr zusammen.
»Sieht ja aus wie eine Szene aus Die Mumie kehrt schon wieder zurück «, murmelte Luther.
Darüber hätte ich gelacht, wenn außer der Tatsache, dass Luther schon genauso daherredete wie ich, irgendetwas daran lustig gewesen wäre.
Jimmy war hier, und ja, verdammt, er brauchte mich. Natürlich hatte er Hilfe. Summer Bartholomew – seine derzeitige Seherin – und Sanducci kämpften Rücken an Rücken im Zentrum einer unebenen, grasbedeckten Fläche an der Spitze des Berges. Stellenweise schmolz der Schnee, und die wenigen Bäume, die es hier gab, zitterten unter der Last von viel zu vielen Eiszapfen.
Die Iyas musste man wirklich gesehen haben. Sie hatten die geschmeidig-starken Körper von Kriegern, ihre Haut glitzerte unter den wirbelnden Schneeflocken, die bei jeder Berührung schmolzen. Sie trugen traditionelle, aus Häuten gefertigte Lakota-Leggings – vermutlich Bison –, und von ihren Gürteln baumelten die Schädel derer, die sie getötet hatten. Das Klacken der Knochen bei jeder Bewegung der Iyas war weit lauter und furchtbarer als der Donner.
Noch schlimmer aber waren ihre Gesichter. Sie hatten gar keine. Nur ein wirbelndes Miasma aus Grau, so als würde der Sturm über ihnen seine Kraft aus dem Bösen in ihnen ziehen.
Und sie waren böse. Das verräterische Brummen in meinem Kopf ertönte so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten und schreien wollte.
Jimmy und Summer kämpften mit Speeren gegen die Iyas. Jedes Mal, wenn sie einen von ihnen durchbohrten, schien Sonnenlicht aus der Wunde zu fluten, das den Monstermann binnen Sekunden einäscherte. Aber sie waren zu Hunderten, und schon bald würden Jimmy und Summer von ihnen überrollt werden.
Auch ohne dass in den wirbelnden Nebeln ihrer Gesichter Augen zu erkennen gewesen wären, hatten die Iyas offenbar keine Probleme damit, etwas zu sehen. Sie hielten direkt auf die Dämonenjäger in ihrer Mitte zu und parierten jeden Angriff von Jimmy und Summer.
Ich wusste, dass die Grigori nach ihrer Befreiung sofort damit begonnen hatten, sich mit Menschen zu paaren, um die Welt erneut mit ihrer Halbdämonenbrut zu bevölkern. Dadurch hatten sich die Nephilim vermehrt – und zwar drastisch.
Aber ich hatte keine konkrete Vorstellung davon gehabt, was drastisch bedeutete, bis ich sah, wie die Iyas über den gegenüberliegenden Bergrücken strömten, wie sie sich Jimmy und Summer über die Hochebene des Tafelberges hinweg näherten und dabei eine Spur aus Schnee und Eis hinter sich herzogen. Es waren so viele, dass sie beinahe den Horizont verdunkelten. Je mehr von ihnen auftauchten, desto dunkler wurde der Himmel und desto wilder wütete der
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