Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
endloser Folge bis zum Horizont.
»Wie genau sollen wir Sanducci da drin finden?«, fragte Luther.
Im Internet hatte ich gestern Abend gelesen, dass die Badlands aus 632 000 Quadratkilometern stetig erodierendem Sedimentgestein bestanden. So massiv, still und ehrfurchtgebietend, wie sie vor uns lagen, waren sie mir richtig unheimlich. Und das sollte etwas heißen, nach alledem, was ich in den letzten Monaten gesehen hatte.
Sonst aber waren die Badlands durchaus eine schöne Gegend. Die Erosion hatte alle Farben der Erde und des Himmels freigelegt. Violett und Gelb, Beige und Grau, Rot, Orange und Weiß – wenn die Sonne im richtigen Winkel auf die Landschaft schien, war Maco Sica einfach nur wunderschön.
»Ich weiß nicht genau, wie wir ihn finden sollen«, gab ich zu.
»Wir haben zwei Tage lang im Auto gesessen«, sagte Luther, »und du weißt es nicht genau?«
»Hat Ruthie etwas dazu zu sagen?«
Mit geschlossenen Augen legte Luther den Kopf schief. Ich hielt den Atem an, aber als Luther die Augen dann wieder öffnete, waren sie noch immer haselnussfarben statt dunkelbraun.
»Ich habe sie gerufen, aber sie hat nicht geantwortet.« Luther zuckte die Schultern. »Das macht sie manchmal. Normalerweise dann, wenn sie mir schon alles gesagt hat, was ich wissen muss.«
Ich sage dir das jetzt nur ein Mal, also solltest du mir lieber zuhören.
Das war eine eiserne Ruthie-Regel, die sie nur selten brach – wenn überhaupt jemals. Das bedeutete, sie hatte mir bereits gesagt, wo Jimmy war. Aber ich hatte es nicht gehört, weil ich mit den Gedanken woanders gewesen war.
»Geh noch mal mit der Katze raus und lass mich nachdenken«, sagte ich.
Luther und Faith verschwanden im trockenen Gras. Ich saß auf der Motorhaube des Impala und zerbrach mir den Kopf.
Jimmy war in die Badlands geschickt worden, um ein Nest von Iyas zu beseitigen.
»Badlands«, murmelte ich. »Passt.«
Iyas waren Lakota-Sturmmonster, die Blut tranken – Vampire gab es in jeder Sprache. Wenn sie nicht gerade gesichtslose Sturmmonster waren, tarnten sie sich als Menschen und mischten sich unter sie.
Ich las ein Hinweisschild in der Nähe. »Pine-Ridge-Reservat. Passt.«
Bei meinem kurzen Abstecher ins Internet am Abend zuvor hatte ich herausgefunden, dass das Pine-Ridge-Reservat flächenmäßig größer war als Rhode Island und Delaware zusammengenommen. Zwar war eine genaue Zählung der Einwohner aufgrund des Geländes und der Eigenarten der Lakota nicht möglich, die Population wurde jedoch auf etwa vierzigtausend Einwohner geschätzt.
Bei einer Arbeitslosenquote von fast achtzig Prozent und einem wahnwitzigen Alkoholismusproblem konnte ich mir ganz gut vorstellen, dass die Iyas unerkannt blieben. Die Menschen in Pine Ridge hatten genug eigene Probleme, auch ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass sich Vampir-Sturmmonster unter sie gemischt haben könnten.
In Wirklichkeit waren diese Vampir-Sturmmonster möglicherweise sogar für eine der niedrigsten Lebenserwartungen in der westlichen Hemisphäre mitverantwortlich. Die Männer in Pine Ridge wurden nur etwa siebenundvierzig Jahre alt, während die Frauen bis Anfang fünfzig durchhielten. Wenn ich schon mal dabei war, konnte ich den Iyas auch gleich die Schuld an der Selbstmordrate bei Erwachsenen in die Schuhe schieben, die hier viermal so hoch war wie in anderen Regionen.
»Was noch?«, murmelte ich.
Auf Schritt und Tritt brachten Iyas den Winter mit sich.
Mein Blick schweifte über die Hügel und Täler, die Felstürme, Schluchten und Senken und wurde unwiderstehlich von einem Felshang angezogen, dessen abgeflachte Spitze eine weiße Mütze zu tragen schien. Dahinter verdunkelten kobaltfarbene Wolken den Himmel.
»Bingo«, murmelte ich.
Ich wandte mich um und wollte nach dem Jungen rufen, aber er kam bereits mit dem Kätzchen auf dem Arm aus dem hohen Gras auf mich zugerannt. Ich griff sofort nach dem Messer an meinem Gürtel, während ich mit den Augen das friedlich wogende Grün nach einem Feind absuchte. Nichts geschah.
»Lizbeth!« Ruthies Stimme kam aus Luthers Mund.
»Jetzt spricht sie«, murmelte ich.
»Jimmy ist in Gefahr, mein Kind. Und du bist die Einzige, die ihm helfen kann.«
10
L uther sprang in den Wagen – und ich ebenfalls. Faith war aufgedreht und sprang ein paarmal kreischend gegen die Fenster. Als Luther sie packen wollte, kratzte sie ihn.
»Vielleicht sollten wir eine Decke mit einem Baby darauf kaufen. Meinst du, dadurch würde sie sich
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