Die Phoenix Chroniken: Fluch (German Edition)
Ich fragte mich, ob Jimmy zum Vollzug imstande sein würde. Nicht nur, dass er mich nicht mehr liebte, in letzter Zeit schien er mich nicht einmal mehr zu mögen.
Jimmy öffnete die braune Papiertüte auf der Kommode und nahm Gegenstände heraus. Kerzen, Räucherwerk und zwei winzige Leinensäckchen, die er abseits von den anderen Sachen ablegte. Das Gris-Gris, nahm ich an.
»Kerzen und Räucherwerk«, sagte ich. »Ganz schön … Siebziger.«
Jimmys Husten klang wie ein ersticktes Lachen, doch als ich seine dunklen Augen im Wandspiegel sah, war keine Spur von Erheiterung mehr zu erkennen. »Die Kerzen und das Räucherwerk enthalten Drachenblut.«
»Hier hausen Drachen?«, scherzte ich.
Jimmy sah mich an. Wir wussten beide, dass es Drachen gab. Wir hatten auch schon eine ganze Menge von ihnen getötet, und ich war sicher, dass da, wo die herkamen, es noch mehr gab.
»Drachenblut ist eine Pflanze«, sagte er. »In den Kerzen sorgt es dafür, dass wir zurückbekommen, was wir hineingeben.« Er hob die Hand, um meinen Fragen zuvorzukommen. »Ich erklär dir das später. Im Räucherwerk befreit es von negativen Wesenheiten und Einflüssen.«
Jimmy nahm eine grüne Kerze und stellte sie auf den Tisch. »Grün für Veränderung und Erneuerung.« Er stellte eine rote Kerze auf die eine Seite des Bettes und eine rosafarbene auf die andere.
»Und die?«
»Sexzeugs«, antwortete er und wich meinem Blick aus.
Ich hakte nicht nach. Brachte es einfach nicht fertig.
Als Nächstes war das Räucherwerk dran – kleine Kegel, die Jimmy auf ebenfalls kleinen Tellerchen neben den Kerzen aufstellte, wobei er jeweils erst eines anzündete, bevor er das nächste aufstellte. »Teebaum für Heilung, grüne Minze für Freiheit, Kraft und Frieden. Lorbeer für Schutz und Teufelsaustreibung.«
Zu hören, wie Sanducci die magischen Kräfte von Düften und Farben aufsagte, war ein bisschen so, als hörte man einem professionellen Wrestler dabei zu, wie er jemandem sein Lieblingsrezept für Kanapees verriet.
»Hast du das alles von Summer gelernt?«, fragte ich. »Sie sieht eigentlich nicht wie ein Räucherwerk-und-Kerzen-Mädchen aus.«
Jimmy ging zum Fenster, starrte in den Himmel und vermied es auf diese Weise wieder sorgfältig, mir in die Augen zu sehen. Er wollte nicht über Summer sprechen. Scheiße, das wollte ich auch nicht.
Die Kerzen leuchteten in sanftem Gold, das nicht so recht zum Silberlicht des Mondes passte. Das Räucherwerk vermischte sich mit dem Geruch der Nacht, und ich fühlte mich ein wenig so, als würde ich schweben.
»Bei diesem Zauber«, sagte Jimmy, »schicken wir unsere Dämonen hinter den Mond, verbannen sie aus unseren Seelen und bitten um Schutz und Frieden.«
»Was wir hineingeben, bekommen wir auch zurück«, murmelte ich. »Wann machen wir das?«
»Ich … «, er räusperte sich. »Ich werde dir Bescheid sagen.«
Stille kehrte ein. Jimmy starrte weiter nach oben. Ich stand nach wie vor einen Meter entfernt und atmete Kerzenwachs und Räucherwerk ein.
»Sollen wir … ?«, fing ich an, doch dann wusste ich nicht mehr, was ich sagen wollte.
»Wahrscheinlich sollten wir nicht«, murmelte Jimmy. »Aber das hat uns ja noch nie abgehalten.«
Ich ertappte mich bei einem Lächeln. Das waren genau die richtigen Worte gewesen.
Nun durchquerte ich das Zimmer und legte meine Arme um ihn, lehnte den Kopf gegen seinen Rücken. Fast erwartete ich, dass er sich verspannte. Doch er hatte auf mich gewartet.
Jimmy war größer als ich, sodass meine Wange an seinem Schulterblatt lag, meine Brüste an seinem Rippenbogen und mein Becken genau unter seinem. Ich legte meine Handflächen auf seinen festen, flachen Bauch. Seine Wärme pulsierte durch den weichen, abgetragenen Stoff seines T-Shirts.
Wir hatten uns schon Dutzende Male auf diese Weise umarmt. Es brachte so viele Erinnerungen zurück, genau wie der leise Duft nach Zimt, der von seiner Haut ausging. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich mir einreden, wir wären wieder Kinder, bevor wir einander verletzt hatten, bevor wir getötet hatten. Oder wenigstens, bevor ich getötet hatte.
Ich hatte nie jemanden so geliebt, wie ich Jimmy Sanducci geliebt hatte. Und ich glaubte auch nicht, dass ich es jemals tun würde. Ich vertraute ihm blind, glaubte an ihn und begehrte ihn mit diesem rasenden Verlangen der ausbrechenden Teenagerhormone. Als er mir das Herz brach, brach es für immer. Nie wieder könnte ich jemandem so vertrauen, so an jemanden
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