Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
Schritt zurück, um die Verwandlung zu beobachten. Saywers Gestaltwandlung wirkte ganz anders als alle vorherigen, die ich gesehen hatte.
Als wäre es mit Diamanten überzogen, funkelte sein dunkles Fell, dann verformte sich seine äußere Gestalt, wurde breiter, größer, drängte gegen den Kreis aus hellem Licht, bis er als freier Mensch daraus hervorbrach.
Als ein sehr nackter Mensch. Schuhe und Kleidung lagen in Fetzen am Boden. Zum Glück hatte er ja mehrere Garnituren gekauft.
Er richtete sich auf, seiner Nacktheit genierte er sich kein bisschen. Luther wandte den Blick ab, schaute dann aber wieder verstohlen hin, um erneut wegzusehen.
„Du hast gesagt, du siehst, was sie sind“, begann Luther. „Kannst du auch sehen, was ich bin?“
„Marbas.“
Er verschluckte sich. Zuerst dachte ich, er müsste husten, dann aber merkte ich, dass er mit den Tränen kämpfte. „Ich bin ein Dämon. Ich bin böse. Ich habe die Dinge in meinen Träumen tatsächlich getan.“
„Was für Dinge?“
Er schloss die Augen. „Schlimme Sachen.“
Mit der Hand strich ich ihm über die Schulter, als wollte ich Trost spenden, und auf einmal … hätte ich selbst fast losgeheult.
Meistens bestehen die Pflegefamilien aus Menschen, die wirklich helfen wollen. Und dann gibt es auch noch welche, die es auf die Schwachen abgesehen haben. Vielleicht sind es Nephilim, vielleicht auch nicht.
Luther war missbraucht worden. Seinen Pflegevater hat man zerstückelt im Garten gefunden.
Gut für Luther.
Aber der Junge sollte sich an die Tat nicht mehr erinnern können? Das war … seltsam.
Ich versuchte es erneut und berührte seine Hand ganz leicht. Nur nachts hatte er sich verwandelt, wenn ihm tiefe Träume den Zugang zur Magie geöffnet hatten. Über die Verwandlung hatte er keine Kontrolle. Noch nicht.
„Du bist nicht böse“, sagte ich. „Du hast diese Schläger nicht umgebracht, obwohl du es gekonnt hättest. Sie töten, vergraben und dann so weitermachen wie bisher. Niemand hätte es je erfahren. So hätte sich jemand Böses verhalten.“
„Wirklich?“ Die Stimme des Jungen klang hoffnungsvoll.
„Wirklich.“ Ich sah Saywer an, der das Kinn senkte und damit eine Frage beantwortete, die ich noch nicht einmal gestellt hatte. „Saywer kann dir helfen, deine Fähigkeiten zu erkennen und zu lernen, damit umzugehen.“
„Saywer?“ Luthers Stimme zitterte. „Nicht du?“
Nach dem, was ich gerade aus seinem Leben gesehen hatte, verstand ich nur zu gut, warum er nicht mit einem Mann arbeiten wollte. Wenn das ein zu großes Hindernis darstellte, könnte ich vielleicht Summer um Hilfe bitten. Sobald ich wusste, wo sie war.
„Das ist nicht meine Aufgabe“, sagte ich. „Er ist für die Ausbildung zuständig. Und ich …“
Luther hob den Kopf. Seine Augen glänzten feucht, aber keine Träne war gefallen. Weinen war eine Schwäche, die sich solche Kinder wie Luther und solche Kinder wie ich nicht leisten konnten. „Was bist du noch mal?“
Gerade wollte ich es ihm erklären, als Saywer dazwischenfuhr. „Darüber reden wir im Wagen.“
Nervös sah ich zu Luther hinüber, ich hatte Angst, uns stünde schon wieder ein Kampf bevor, und wenn er richtig ärgerlich würde, hätten wir es auch noch mit einem Löwen zu tun. Wie, zum Teufel, würden wir den wohl ins Auto bugsieren?
Aber er rieb sich bloß die Augen und nickte. „Okay.“
Er verschwand in der armseligen Bruchbude, und ich wandte mich Saywer zu. „Woher wusstest du, dass er hier war?“
„Das ist meine Aufgabe, oder zumindest war es das, bis mich meine Mutter ins Land der Diné eingesperrt hat.“
„Stimmt ja. Ruthie hat mir erzählt, dass du richtig gut gewesen bist im Anwerben neuer Mitglieder für die Föderation.“
„Anwerben muss ich eigentlich gar nicht. Wir sind, was wir sind; unser Leben hat ein Ziel. Ich bringe besondere Fähigkeiten ans Licht, entwickele und verfeinere sie.“
Ich musste daran denken, wie er meine Talente herausgekitzelt hatte. „Du kannst doch nicht …“
Mit geblähten Nasenflügeln und vor Wut sprühenden Augen sagte er: „Der Junge ist ein Marbas. Er hat sich verwandelt; er hat getötet. Ihm muss keiner zeigen, wie er sich seiner magischen Seite zu öffnen hat, er muss bloß lernen, sie zu kontrollieren. Damit nicht Wut oder Angst unfreiwillig das Biest hervorbringen, sondern er sich auf Wunsch verwandeln kann.“
„Aber …“
„Glaubst du, ich würde ihn anrühren?“
„Du hast es bei mir getan.“
„Und
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