Die Phrrks
kannst; damals haben die Leute doch ganz anders gesprochen.«
»O ja!« Phti seufzte. »Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich die Sprache von heute beherrschte.
Ich finde, damals war sie viel schöner.« Er schloß die Augen und rezitierte: »Unter der linden / an der heide
/ da unser zweier bette was / Da muget ir vinden /
schöne beide / gebrochen bluomen unde gras / Vor dem walde in einem tal / tandaradei / schöne sanc diu nahtegal.«
»Das kenne ich«, rief Emma, »das ist…«
»Walther von der Vogelweide«, sagte Phti.
»Ich dachte, es ist ein Volkslied. Ich habe es als Kind gelernt:
Unter der Linde / auf der Heide / wo ich bei meinem Liebsten saß / da könnt ihr noch finden / wie wir beide / die Blumen brachen und das Gras / Vor dem Wald in einem Tal / Tandaradei / sang so süß die Nachtigall. – Kennst du noch mehr?«
»Ja. Chyrl das war mein Lehrer hat eine ganze Sammlung mit Gedichten von Walther von der Vo-39
gelweide mitgebracht, ein Buch mit wunderschönen Bildern. Wie gefällt dir das?« Er sah Emma an, seine Augen glänzten: »Scheidet, frouwe, mich von sorgen
/ liebet mir die zit / Oder ich muoz an freuden borgen
/ daz ir saelic sit / Muget ir umbe sehen? / sich freut al diu werlt gemeine / möhte mir von iu eine kleine /
freudelin geschehen!«
»Das habe ich nicht ganz verstanden«, sagte Em-ma, »vor allem die zweite Hälfte.«
»Wollt Ihr um euch sehen, wie die Welt so fröhlich scheint?
Könnt mir doch von Euch eine kleine Freudelin geschehen.«
»Sehr schön«, sagte Emma, »vor allem das ›Freudelin‹ gefällt mir, es ist so poetisch.«
»Nicht wahr?« Phtis Rüssel rotierte fröhlich im Kreis.
»Nun verrate mir doch endlich, woher ihr
kommt«, sagte Emma.
»Was nutzt es dir, wenn ich sage, wir kommen vom Phrrk im System ß11-gng-wrr? Ihr habt ganz andere Bezeichnungen und Koordinaten.«
Emma nickte hilflos. »Und deine Kameraden, die sprechen nicht irdisch?«
Phti schüttelte den Kopf.
»Ihr seht euch aber doch auch in anderen Ländern um«, meinte Emma, »wenn ihr euch nun nicht verständigen könnt…?«
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»Muß man sprechen, um zu erkennen?« entgegne-te Phti lächelnd. »Mit dir, das ist etwas anderes, du bist wie sagt man? unsere Herbergsmutter.«
Dieses Gespräch hatte Emma wieder mit dem Recorder aufgenommen. Sie schloß sich im Klo ein und ließ die Wasserspülung laufen, während sie es mehrmals abhörte.
Dann seufzte sie tief. Was, um Himmels willen, sollte sie tun?
Es sah tatsächlich so aus, als ob ihr Radio die einzige Bodenstation der Phrrks war. Und dann war sie, Emma Appelmann, die einzige, die die Menschheit warnen konnte – nein, mußte!
Am liebsten hätte sie zum Telefon gegriffen und alle Welt angerufen, doch sie hatte ja ihre Erfahrun-gen: Niemand würde ihr glauben, solange sie nicht einen Beweis vorlegte. Einen Film oder wenigstens Fotos.
Beim nächsten Einkauf erwarb sie eine gebrauchte Minox-Kamera und mehrere Filme, aber dann zögerte Emma, sie zu benutzen. Wie würden die Phrrks reagieren, wenn sie sie ein zweites Mal beim Fotografieren erwischten? Emma fielen sogleich eine ganze Reihe schrecklicher Dinge ein, die sie mit ihr anstellen könnten; auf keinen Fall würden sie ihr auch nur einen einzigen Wunsch erfüllen. Ade, Jugend, Schönheit und Reichtum, ade, all die Pläne.
Welch eine Alternative, dachte sie: das zweite, uner-41
hörte Leben der Emma Appelmann oder die Zukunft der Menschheit – total verrückt. Nein, das durfte nicht wahr sein.
Sie hatte zwar in vielen Science-Fiction-Büchern gelesen, daß den Externsten das Schicksal fremder Zivilisationen schnurzpiepe war, aber konnten diese niedlichen kleinen Männchen wirklich Ungeheuer sein? Und welchen Grund hatte sie eigentlich, sich für diese Menschheit zu opfern, die nichts, aber auch gar nichts von ihr wissen wollte?
Zwei entsetzliche Wochen vergingen, in denen Emma von einem Extrem ins andere geworfen wurde; jedesmal, wenn sie sich entschlossen hatte, die Phrrks zu fotografieren und Alarm zu schlagen, siegte wieder die Angst oder der verlockende, besch-wichtigende Gedanke, daß sie den Männchen unrecht tat. Sie fühlte sich hundeelend, aß und trank kaum noch etwas und verzichtete auf die Hexensalbe. Phti erkundigte sich besorgt, ob sie krank sei. Nein, antwortete Emma, nur etwas matt. Sollte sie ihm verraten, daß die Last der ungeheuren Verantwortung, die sie auf ihren schmalen Schultern spürte, sie zu erdrücken drohte? Jeden Tag neue Katastrophen. Als
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