Die Phrrks
Ordnung.
»Wie oft sieht man so was im Video«, sagte ich dann zu der Wand, die ich ohne den Schimmer einer Unregelmäßigkeit links von mir erblickte, »aber daß es das wirklich gibt!«
Mark grunzte nur. Er bat mich aufzustehen, damit 63
er hinter meinem Rücken einen Schluck nehmen konnte. Ich starrte auf das Glas, das mit tänzelnden Bewegungen über die Platte des Tresens rutschte, bevor es wie von Zauberhand in die Luft gehoben wurde, kippte und leer wieder auf dem Tresen aufsetzte.
»Seit ich denken kann, träume ich von einer Tarnkappe«, sagte ich, »und nun sitzt so was tatsächlich neben mir. Wie funktioniert es? Verrate mir den Trick, und ich schenke dir allen Staub meines Lebens.«
»Ach, laß mich in Ruhe«, knurrte Mark. »Erzähl lieber was von dir. Sonst fallen wir noch auf.«
»Woher hast du das?«
»Ich habe es von den Alphas«, sagte er müde. »Ich traf sie unterwegs. Auf einem Routineflug zum Plu-to. Ein Lastkahn, solo. Sie hatten eine Havarie.
Nichts Aufregendes, ein Porös im Panzer, aber vielleicht hast du gehört, was für miserable Techniker sie sind. Genial im Erfinden, aber hundsmiserabel in der Technologie. Mit ihren Geräten hätten sie Monate gebraucht, das Porös abzudichten. Ich habe es in vier Tagen geschafft. Als Dank boten sie mir einen ganzen Katalog von Alphaquitäten an. Und ich, ich habe das No-i gewählt.«
»Hätte ich auch. Ohne zu zögern.«
»So, hättest du.«
Ich mußte sein Glas füllen, und er kippte es wieder 64
in einem Zug aus. Gespenstisch, wie das Glas sich in die Luft hob und der Whisky im Nirgendwo verschwand.
»Und jetzt bist du unsichtbar, wie und wann du willst?«
Er lachte, es klang eher bitter als übermütig oder zufrieden.
»Täglich zweimal eine Stunde, genau gesagt vier-undfünfzig sieben Achtel Minuten, das entspricht einer Alpha-Sekunde, der kleinsten Zeiteinheit, auf die das No-i einzustellen war.
Jupiter sei Dank, daß ich nicht mehr genommen habe.«
»Phantastisch«, sagte ich, und er sagte: »Soll ich es dir schenken?«
Mir blieb vor Verblüffung die Antwort in der Kehle stekken.
Seine unsichtbare Hand klopfte mir auf den Rükken. »Keine Angst, es geht nicht; das No-i ist bioto-nisch in meinen Kreislauf integriert, unlösbar, bis an mein Lebensende.«
»Schade«, sagte ich.
»Was willst du mit einer Tarnkappe?« fragte
Mark.
Die Frage überraschte mich nicht. Wie oft hatte ich mir ausgemalt, was ich alles unternehmen würde, wenn ich unsichtbar wäre. Selbst unbeobachtet beobachten können!
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Meine Lieblinge, die Hasen und Rehe im Spree-Nationalpark.
Oder die überhellsichtigen Cocolibris am Amazo-nas, die erst kurz vor meiner Abreise und auch da nur durch einen Zufall entdeckt worden waren. Und Menschen! Wissen, wie sie wirklich sind. Wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Wenn sie sich nicht ver-stellen. Hören, wie sie über dich reden, wenn sie denken, du bist nicht dabei. Den internsten Beratun-gen beiwohnen. Und all die Jugendträume, diese albernen, unsinnigen, aber da immer noch unerfüllten, immer noch bohrenden Wünsche: jemanden ungesehen anrempeln, etwas vor seinen Augen verschwinden lassen, ohne Billett in jede ausgebuchte Veranstaltung gehen und sie mit eigenen Augen sehen können, nicht auf die Videokrücken angewiesen sein… tausend Möglichkeiten.
Was ich auch nannte, nichts schien Mark fremd.
Als hätten wir einst gemeinsam Pläne und Streiche ausgeheckt.
Am liebsten hätte ich ihm die Stirn geküßt, doch ich hatte Angst, Blondy würde den Medizinischen Dienst holen; so drückte ich nur mit beiden Händen die Luft, die seine Hand war. Mark hatte noch ein Motiv: Er hatte seine ehemalige Frau besuchen und beobachten wollen, um endlich zu erfahren, warum sie ihn verlassen hatte, denn seit der Trennung hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen.
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Jetzt schien er keine Angst mehr vor Alkohol zu haben. Immer schneller bot er mir den Anblick des schwerelosen Glases.
Einmal sah Blondy gerade in unsere Richtung, als er trinken wollte; ich nahm schnell das Glas und stellte es auf den Tresen.
»Gib mir sofort mein Glas wieder!« maulte er.
»Es steht doch vor dir«, sagte ich. »Bist du schon so besoffen, daß du das Glas nicht mehr findest?«
»Selber besoffen.«
Ich hielt das Glas an die Stelle, wo ich Marks Mund vermutete; ich hatte richtig geraten.
»Noch einen.«
»Erst wenn du mir endlich verrätst, wie dein No-i funktioniert und was du damit schon alles angestellt hast. Mann, wie ich dich
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