Die Phrrks
Baustel-le um die Ecke zu holen und in ihre Wohnung zu schleppen. Die sonntäglichen Spaziergänger sahen ihr verwundert zu, doch niemand fragte.
Nicht, ob sie es durfte, nicht, wozu sie das brauchte, nicht, ob man ihr helfen könne. Ihr war es recht.
Nur keine Störung jetzt.
Ungeduldig wartete sie in ihrem Sessel auf den Einflug der Phrrks; sie mußte ihnen unbedingt den gewohnten Anblick bieten. Sobald das letzte Männchen verschwunden war, schaltete Emma das Radio ab. Sie blieb noch eine Weile sitzen und starrte auf ihre dünnen, knotigen Finger, die schartigen, rissigen Nägel, die dicken blauen, vielfach gewundenen Adern, die nur schwach unter der pergamentenen Haut pulsierten.
In diesen Händen also, dachte sie kopfschüttelnd, liegt nun das Schicksal der Menschheit.
Sie stand auf, holte Material und Werkzeug ins Zimmer, sägte, bohrte, schraubte, raspelte; lange nach Mitternacht hatte sie eine große Kiste aus Bret-tern und Bohlen gezimmert. Sie verkittete die Fugen sorgsam mit einem Brei aus Mehl und Eiweiß, und sie grinste hämisch, als sie die Schüssel mit dem Ei-53
weiß, das sich in den letzten zwei Wochen ange-sammelt hatte, aus dem Kühlschrank nahm.
»Guten Appetit, meine Lieben«, murmelte sie leise. Dann mauerte sie die Kiste bis auf zwei Stellen aus, an der einen hatte sie dünne Kanäle für den Abzug gebohrt, an der anderen ein dickes Loch gelassen, an das sie nun den Ausgang des Staubsaugers setzte; das Rohr steckte sie in das Schlupfloch des Radios. Sie verklebte beide Stellen mit mehreren Lagen Heftpflaster, setzte den Deckel auf, überzeugte sich, daß der Staubsauger genug Zug hatte und daß die Verbindungsstellen an Radio und Kiste dicht hielten. Schwer atmend massierte sie Kreuz und Lenden mit den Fäusten und betrachtete verwundert ihr Werk. Das sollte es sein? So primitiv?
Nein, dachte sie, einfach, wie alles Geniale! Sie mußte sich Mut zusprechen. »Du brauchst jetzt verdammt viel Mut, Emma!« sagte sie laut.
Es war schon kurz vor sechs. Emma ging unruhig auf und ab.
Sie hatte Angst einzuschlafen, wenn sie sich setzte. Sie brühte eine Kanne pechschwarzen Mokka, blickte immer wieder zur Uhr: die Phrrks waren nie vor sieben und nie nach halb acht erschienen.
Als die Glocken von St. Elisabeth läuteten, setzte Emma einen Kessel Wasser auf, stellte die Abwasch-schüssel in die Kiste, schüttete die fünf Tüten Salbei hinein; zehn nach sieben goß sie die Blätter mit ko-54
chendem Wasser auf, stülpte schnell den Deckel auf die Kiste und verklebte die Ritze mit Pflaster. Sie holte noch einmal tief Luft, dann schaltete sie das Radio an.
Die Röhren begannen zu glimmen.
Auch die Lüftungsschlitze des Radios hatte Emma bis auf einen verklebt, durch den sie jetzt hineinsah.
Ein blaues Wölkchen bildete sich, trieb zum Schlupfloch, wurde dichter. Emma ließ den Staubsauger an.
Leichter Salbeiduft zog ins Zimmer, der Phrrk wurde von einem gewaltigen Sog erfaßt und in den Staubsauger gesogen, während er gerade Gestalt annahm.
Ein kurzer Blick zur Kiste: nichts Blaues drang aus den kleinen Abzuglöchern! Das zweite Wölkchen, das dritte…
Emma zählte mit, zuerst stumm, dann leise flü-
sternd, dann immer lauter; ab zweihundert schrie sie die Zahlen triumphierend hinaus, »… zweihundert-fünfunddreißig, zweihundertsechsunddreißig, zwei-hundertsiebenunddreißig!«
Sie hielt den Atem an, bis sie es nicht mehr aus-hielt, dann stieß sie einen schrillen Schrei aus, sprang in die Luft, klatschte wild in die Hände. Geschafft!
Wirklich geschafft? Sie rief sich zur Ordnung, schaltete den Staubsauger aus, riß ihn von der Kiste, klebte das Loch blitzgeschwind zu, dann die Abzugs-löcher, kippte das Radio auf die Frontseite, riß die Rückwand herunter, zertrümmerte mit dem Hammer 55
das Innere des Gerätes, griff zum Beil, schlug auch das Gehäuse in tausend Stücke, ließ tiefe Narben im Tisch zurück: eine Orgie der Gewalt. Als nur noch Späne und Metalltrümmer und Plastsplitter übrig waren, hielt sie erschöpft inne. Sie hatte kaum noch die Kraft, die Überbleibsel des Radios zusammenzukeh-ren und in einen Müllbeutel zu schippen.
Völlig außer Atem ließ sie sich in den Sessel sinken und schlief auf der Stelle ein.
Irgendwann schreckte sie hoch, blinzelte, überzeugte sich, daß Kiste und Müllbeutel unverändert dastanden, und nickte gleich wieder ein. Als sie das nächste Mal munter wurde, war es draußen schon dunkel. Emma schleppte sich zum Fernseher. Das
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