Die Phrrks
Hochhäuser lebten, in den Lücken zwischen den ro-stigen Stahlkonstruktionen und den Plastplatten der Außenhaut. Gewiß, da gab es Schutz vor den staubigen Stürmen, und warm war es auch, sogar im bitter-sten Winter, aber man konnte leicht im Schlaf ab-stürzen.
Vor allem, wenn ein anderer auf den Platz scharf war und einen losschnitt Rusty war so zerschmettert, daß er ihn nur an der handgestrickten Mütze und dem 173
fehlenden Mittelfinger erkannte.
Er konzentrierte sich auf die beiden Schwäne, die auf dem Teich ihre Kreise zogen. Sie sahen wie echte Vögel aus, aber waren sie es? Er hatte noch nie einen richtigen Schwan gesehen. Und keinen Vogel mehr, seit Mutter mit ihm von der kleinen Farm in Oklahoma in die Stadt gezogen war Farm!
Er grinste. Ein paar Acres Land, eine halbverfallene Hütte, ein klappriger Maulesel: Mutter mußte sich mit vor den uralten eisernen Pflug spannen, den sie zusammen mit der Farm von Großonkel Stanford geerbt hatte.
Die Bäume, das wußte er, waren nicht echt. Zwar bogen auch sie ihre Äste im Wind, der von der Bucht herüberstrich, zwar zitterten auch ihre Blätter, er hatte mal eines abgerissen, obwohl das vier Wochen Knast kosten konnte, die Neugier besiegte seine Angst. Aber gut gemacht waren sie, das mußte man zugeben. Immer wieder bekam er Lust, ein Blatt abzureißen, zwischen den Fingerspitzen zu zerreiben wie einst in Oklahoma. Aber das Blatt würde nicht zerfasern, kein grüner Brei unter seinen Fingern entstehen, der Duft frischen Grüns nicht aufsteigen, wie sehr er das Blatt auch rollte und quetschte. Selbst wenn man es zwischen zwei Steinen zerrieb, es roch nur nach heißem Kunststoff. Die Schwäne jedoch waren bestimmt echt. Er bestand darauf. Wider alle Erfahrung.
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Was nur war gestern gewesen? Nicht, daß es wirklich wichtig war, morgen würde er es ohnehin wissen. Es war nie wichtig und immer dasselbe. Das Aufwachen auf seinem Stammplatz über dem Metroschacht, dann Frühstück wenn man das Frühstück nennen konnte: ein Becher warme braune Brühe aus dem Kaffeeautomaten und zwei Scheiben pappiges, mit irgendeiner Paste bestrichenes Weißbrot; er sah schon gar nicht mehr hin, was auf den Schildern stand. Ach, wenn er einmal nur noch eine; Scheibe von Mutters selbstgebackenem krossem, duftendem Brot kosten dürfte!
Es gab auch hier in der Stadt schwarzes, körniges Brot. Einmal hatte er es gesehen. In Eastside, jenem Viertel, in das Typen wie er nur durften, wenn sie dort etwas zu tun hatten.
Nur dann bekam man eine der Plastikkarten, die das Chromstahltor in der hohen Mauer um das Viertel öffneten. Aber er konnte nichts, was die dort gebrauchen konnten. Er hatte ja nichts gelernt. Nach Eastside war er nur gekommen, weil Whitey unbedingt zum Rattenkampf gehen wollte; Rattlebeast, sein Favorit, trat gegen Throatkilller, den Champion von Queens, an, und die Wetten standen eins zu sieben für Throatkiller. Whitey hatte sogar! bitte gesagt.
Das kannst du ebensogut wie ich, das ist keine Spe-zialarbeit, du mußt nur ein Päckchen abgeben, bitte.
Es war das erste Mal, daß er Whitey bitte sagen hör-175
te. Ein Glück, daß er sich von Whitey überreden ließ, so sah er das wenigstens einmal in seinem Leben: die Villen und Gärten, die makellos weißen oder rosa oder hellblauen Wohnblocks, in denen nicht ein einziges Fenster zerbrochen war, keine Mauer gerissen, kein Fleck auf den Fassaden; fast jede Nacht träumte er von Eastside, vor allem aber von den Schaufen-stern. Nachdem er das Päckchen abgeliefert hatte, war er noch durch die Geschäftsstraßen gelaufen, stundenlang hätte er hier herumstreunen können, sich satt sehen, doch eine Streife griff ihn auf und zerrte ihn auf ihren Karren; wie einen toten Hund hatten sie ihn vor das Tor geschmissen.
Und gestern? fiel ihm wieder ein. Wenn er nur schreiben könnte, sich Notizen machen, dann würde er jetzt wissen, was gestern gewesen war. Ein Fetzen Papier würde sich schon finden, obwohl das verdammt schwer war, es gab ja fast nur noch Plast, und auf Plast ließ sich kaum schreiben, nicht einmal ein Muster kritzeln. Einen Stift besaß er, einen goldglänzenden Stift, auf den er unheimlich stolz gewesen war, bis Whitey ihm verriet, was auf dem Stift stand: Ich bin ein Aroiner, und ich bin stolz darauf.
Mausezahn, sein Dealer, hatte ihm den Stift geschenkt, als Sam zum dritten Mal zu ihm gekommen war. Heute zeigte er ihn kaum noch. Daß man Aroin schnüffelte, war kein Grund, stolz zu sein.
Schon oft
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