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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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waren alle Großen groß geworden.
    Sam schreckte auf. Eine Frau schrie um Hilfe. Nur wenige Schritte vor ihm war sie zu Boden gestürzt und wand sich in Krämpfen, eine mordshäßliche Frau, vielleicht nicht so alt, wie sie auf den ersten Blick wirkte, bestimmt nicht, ihre Haare waren dick und voll und die Hände glatt, entschieden nicht alt genug, um einfach auf der Straße umzufallen am En-de war das nur ein Trick, um ihm die Tüten zu klauen? Er kam ihr zur Hilfe, und inzwischen stahl ihm ihr Komplize seine ganze Habe…
    »Hilfe«, stöhnte sie, »hilf mir doch, bitte!«
    Warum sollte er ihr helfen, wer würde ihm helfen?
    Dann siegte sein Mitleid, er stand auf und trat zu ihr, doch die Tüten nahm er mit. Sie war bestimmt nicht viel älter als dreißig. Tiefe Narben entstellten ihr Gesicht. Bestimmt hat man sie mal überfallen, dachte er. Oder ihr Macker sie massakriert, weil sie nicht für ihn auf den Strich gehen wollte. Oder ein Unfall, und man hatte sie in einer Public-Klinik so zusammenge-flickt; für Schönheitsoperationen kam die Wohlfahrt 180
    nicht auf.
    »Bring mich nach Hause, ja?« bettelte sie. »Ich wohne gleich in dem Block da. Kriegst auch eine Belohnung.«
    »Was?« fragte er.
    »Ein Nickel?« Sie sah ihm ängstlich ins Gesicht.
    Als er keine Miene verzog, steigerte sie ihr Angebot.
    »Zwei Nickel? Nein? Drei? Mehr Geld habe ich nicht. Oder ein Stück Schokolade? Richtige Schokolade mit Nüssen. Oder `ne Dose Bier? Oder Brot, schwarzes Vollkornbrot?« Sie nickte zufrieden, als sie sah, wie seine Augen aufgingen.
    »Eine ganze Scheibe«, sagte sie.
    »Wie dick?« Er ließ sich doch nicht übers Ohr hauen, nicht von so einer. Nachher schnitt sie das Brot mit der Rasierklinge, was?
    »So dick.« Sie zeigte es zwischen Daumen und Zeigefinger, gut einen Zentimeter.
    »Okay.« Sam nahm die Tüten in die linke Hand, zog die Frau mit der rechten hoch. Sie knickte ein, hielt sich an ihm fest. Es half nichts, er mußte sie auf den Arm nehmen, aber was tut man nicht alles für eine Scheibe richtiges Brot.
    »Das Haus da?«
    »Zweiter Aufgang, vierter Stock.«
    Vier Stockwerke! Mit dieser Last auf dem Arm und dazu noch die Tüten in der Hand. Aber wo sollte er seine Habe sonst lassen? Und wenn es nun doch 181
    eine Falle ist, dachte er. Wenn sie dich jetzt überfallen? Du könntest dich nicht einmal wehren. Niemand fiel über ihn her, auch nicht, als er das finstere Treppenhaus betrat und die mit Müll übersäten, schmieri-gen Stufen hinaufstieg. Mit jedem Absatz schien sie schwerer zu werden. Als er die vier Treppen fast geschafft hatte, ohne auch nur einmal auszugleiten, kam sie wieder zu sich. Er merkte es an dem nach-lassenden Druck ihrer Arme um seinen Hals. Er stellte sie auf den Boden.
    »Danke«, sagte sie und lachte ihn an. Das Lachen machte sie noch häßlicher, aber sie mußte einmal richtig schön gewesen sein. Sie ging zu ihrer Tür, sperrte umständlich drei Sicherheitsschlösser auf. Als ob es in ihrer Wohnung etwas zu stehlen geben wür-de, dachte er belustigt. Sie sah nicht so aus, als könne man ihr irgend etwas klauen. Aber vielleicht war sie eine Dealerin? Er beschloß, die Wohnung Zoll für Zoll unter die Lupe zu nehmen. Und wenn sie ihn daran hindern wollte, würde er sie irgendwo anbin-den. Aber zuerst einmal das Brot, zuallererst. Vielleicht, dachte er, ist heute dein Glückstag? Vielleicht kam er nicht nur zu einer Schnitte Schwarzbrot, sondern auch zu einem Gratissnuff? Oder sogar zu einem kleinen Vorrat Aroin. Warum sollte nicht auch er einmal einen Glückstag haben?
    »Bist du das?« Er zeigte auf das Namensschild.
    »Bin ich. Lucie Spencer. Und du, hast du auch ei-182
    nen Namen?«
    »Klar, Samuel O. Carrol, genannt Quarrel-Sam.«
    »Oh«, sagte sie, »bist du so gewalttätig?«
    »Wenn es nötig ist.« Er zuckte mit den Schultern.
    »Ich hoffe, bei dir ist es nicht notwendig.«
    »Nein.« Sie ließ ihn in die Wohnung. Seine Hoff-nungen zerstoben mit dem ersten Blick. Nicht der mieseste Dealer würde so hausen, nicht einmal als Tarnung. Ein Zimmer, von dessen Wänden Tapeten-reste in Streifen herunterhingen, unter dem Fenster war der Putz abgebröckelt, die Scheibe hatte Sprün-ge, die mit Zeitungspapier zugeklebt waren, eine nackte Glühbirne hing von der Decke herab, nirgends ein Möbelstück, nur ein Lumpenhaufen als Bett, ein Gaskocher auf einer Kiste und überall Kartons und Plastbeutel, offensichtlich voll mit zerbrochenem, verkommenem Zeugs, das sie vom Müll geholt

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