Die Phrrks
er wieder nach draußen ging, Marianne jedoch… Welch ein Widerspruch: tags die energische, überlegene, emanzipierte Frau, und abends…
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Wie viele Widersprüche wir alle mit uns herum-schleppen, dachte er. Nein, nicht die Widersprüche sind es, die uns zum Verhängnis werden: die Ana-chronismen.
Der Gleiter schwenkte in eine Linkskurve. Für einen Augenblick kam der Fernsehturm ins Blickfeld.
Wie gut, daß das nun vorbei war. Warten auf etwas, das nie eintreten würde: Gemeinsamkeit des Lebens, angebunden an eine immer blasser werdende Hoffnung, unwürdig ja, das war die richtige Bezeichnung. Das war das Wort, nach dem er lange gesucht hatte, als er den Brief schrieb, in dem er be-kräftigte, daß sich auch durch die lange Abwesenheit nichts ändern würde, auf die Marianne vielleicht baute, der Brief, in dem er gebeten, nein, gefordert hatte, daß sie wieder in ihr Appartement zurückgehen sollte, bevor er heimkam. Er freute sich auf seine Wohnung. Die leere Wohnung. Die Post durchsehen und nicht erst morgen, sofort. Die Bücherstapel um-schichten, hier und da ein paar Seiten anlesen, Zeitschriften durchblättern ob Marianne sie ihm noch sortiert hatte?
Bestimmt. Er lächelte. Eigentlich war es doch eine gute Zeit gewesen. Eigentlich schade, daß sie heute nicht nein!
Er spürte den kleinen Ruck, der durch die Maschine ging, als das Fahrgestell ausgeschwenkt wurde.
Kein Zurück. Wenn er nur an ihren Eierkrieg
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dachte: Morgen für Morgen stellte sie das gekochte Ei mit dem spitzen Ende in den Becher, und er drehte es jeden Morgen um, bevor er die Schale anschlug.
Ein Glück, daß sie nicht geheiratet hatten und nun ohne Formalitäten auseinandergehen konnten. Würdig. Wie es sich für zwei reife Menschen gehört.
Die Maschine sackte ab. Die letzten Meter vor dem Aufsetzen.
Bornemann stemmte die Arme gegen die Lehnen.
paß er immer noch Angst vor der Landung empfand.
Als er die Gangway betrat, atmete er tief. Die Sonne stand dicht über dem Horizont. Stimmt, hier war ja schon Herbst. Er schlenderte zum Bus, stieg als letzter ein, die Stewardeß winkte ungeduldig. Er hatte Zeit. Es machte ihm nichts aus, daß das Gepäck lange auf sich warten ließ und der Flughafenbus ihm vor der Nase wegfuhr. Am Ostkreuz stieg er nicht um. Er fuhr zum Hauptbahnhof, stellte seine Koffer in der Gepäckaufbewahrung unter, spazierte durch die Straßen, schnupperte vergessene Gerüche, kaufte sich eine Bockwurst; tatsächlich, es gab immer noch Wurststände, und das war nicht nur nostalgische Mode. Ein Glück, dachte er, daß das Leben auf der Erde sich nicht so rapide verändert, wie sollte man sonst noch heimkehren können. Er studierte die Lit-faßsäule, sogar den längst abgelaufenen Ausstel-lungsplan, setzte sich auf eine Bank und betrachtete die vorbeihastenden Menschen.
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Er lehnte sich zurück und breitete die Arme über die leere Bank. Er mußte nicht hasten, mußte nicht einkaufen, nicht nach Hause. Der Strom der Passan-ten wurde dünner und dünner, die Straße verwaiste, die Beleuchtung ging an. Er stand auf und lief in Richtung Zentrum, überlegte, ob er in ein Kino gehen sollte, trat in eine Kneipe und trank am Tresen Bier. Ließ sich das Telefon geben. Weder Herbert noch Wolfgang noch Hans meldeten sich. Er rief bei Eva an.
»Mann, daß du dich auch noch mal meldest!«
»Ich war wieder auf Mission. Ein Jahr und vier Monate. Bin gerade zurück.«
»Hast du Zeit für einen Schwatz?«
Und ob er Zeit hatte. Und nicht nur Lust zum Schwatzen. Aber um elf warf Eva ihn hinaus. Er machte kein Hehl daraus, wie gerne er geblieben wä-
re. Das ganze Wochenende.
»Das kannst du nicht machen, Eva«, maulte er.
»Ich war sechzehn Monate allein, du verstehst?«
»Ich verstehe«, sagte sie, »aber es geht nicht.
Nächstes Wochenende, ja?«
Er lief sich die Enttäuschung in den nachtleeren Straßen ab.
Ein fast wolkenloser Himmel, Halbmond, die hei-matlichen Sternbilder, Erinnerungen er verscheuchte die Gedanken an Marianne, fand ein Taxi; als er aus dem Wagen stieg und die immer noch nicht verputzte 168
Fassade vor sich sah, fühlte er sich glücklich. Wie vertraut eine Haustür sein kann, wie anheimelnd ein schmutziggrauer Flur, die abblätternden Wände des Treppenhauses, er pfiff leise vor sich hin. Er schleu-derte die Schuhe in eine Ecke des Flurs, ließ die Pantoffeln stehen und ging auf Strümpfen ins Bad, ließ Wasser ein, ging ins Zimmer, setzte sich an den überladenen Schreibtisch, die
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