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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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fünfundvierzig, kurz nach dem sogenannten zweiten Weltkrieg wissen Sie etwas über diese Zeit?
    U.: Was ich in der Schule gelernt habe.
    B.: Also so gut wie nichts. Dann muß ich wohl etwas in die Details gehen, fürchte ich. Ich war damals dreizehn. Ich lebte in Papenberg, einer Kleinstadt im Bezirk Rostock, das heißt, damals hieß es noch Land Mecklenburg. In dieser Zeit, da anderswo kaum die Schulen wieder geöffnet wurden, bekam Papenberg eine Oberschule. Wiedemann, unser Bürgermeister, sorgte dafür, er kam direkt aus dem Zuchthaus zu uns, ein Politischer, wenn Sie wissen, was das war.
    U.: Ich weiß, was Sie meinen. Erzählen Sie ruhig, ich unterbreche schon, wenn ich etwas nicht verstehe.
    269
    B.: Bis Kriegsende gab es nur ein paar Oberschü-
    ler in Papenberg, die fuhren mit der Kleinbahn nach Stralsund. Die Flüchtlingstrecks aus den verlorenen Ostgebieten, aus Schlesien, Ostpreußen und
    Pommern, hatten nun die Zahl der Oberschüler und Gymnasiasten in und um Papenberg auf ein paar Dutzend verstärkt, das Gymnasium in Stralsund war noch geschlossen, außerdem die Bahn abgerissen, und Wiedemann war mit klaren Vorstellungen nach Papenberg gekommen, die er nach und nach durchzusetzen begann, eine davon: daß die Jungen und Mädchen vom Land nicht dümmer sein mußten als die Stadtkinder, so hamsterte er Lehrer.
    U.: Er hamsterte Lehrer?
    B.: Unsere Deutschlehrerin hatte der Ortspolizist mit drei Pfund Butter und einem halben Rucksack voll Mehl erwischt, die sie bei den Bauern gegen Schmuck eingetauscht hatte, so was nannte man damals hamstern. Wiedemann bot ihr im Tausch für Strafe und Zwangsarbeit bei der Kartoffelernte eine Lehrerstelle an. Unseren Mathelehrer, einen Profes-sor aus Königsberg, gewann er durch eine Stube mit Kochnische, und den Cosinus, einen Physikstuden-ten, den die Nazis im dritten Studienjahr an die Ost-front und kurz vor dem Ende wegen Wehrkraftzer-setzung ins Gefängnis geworfen hatten, fing er mit einer Aufenthaltsgenehmigung und dem Versprechen auf einen Studienplatz ein, sobald die Universität in 270
    Greifswald oder Rostock wieder eröffnet würde. Ich bin sehr weitschweifig, was?
    U.: Erzählen Sie nur. Ich habe ohnehin nichts anderes zu tun, und es interessiert mich, sehr sogar. Wir wissen viel zu wenig über diese Zeit.
    B.: Cosinus wie er richtig hieß, ist mir längst entfallen unterrichtete uns in Physik, Chemie und in Gottlosigkeit. Er hielt Vorträge über die Erkennbar-keit der Welt, erklärte uns, daß die Religion an allem Unglück schuld und Opium für das Volk sei, und er hatte große Mühe, uns zu erklären, was denn Opium war. Als sich die Eltern über seinen gottlosen Unterricht beschwerten, gründete er mit Wiedemanns Hilfe einen Bildungszirkel.
    U.: Ich verstehe, außerhalb des Unterrichts, nicht wahr?
    B.: Ja. Wir trafen uns nun abends, ein knappes Dutzend zuerst, bald aber reichte das größte Klassen-zimmer kaum noch, und wir zwängten uns zu dritt in die engen Bänke und lauschten mit angehaltenem Atem seinen lästerlichen Reden.
    Cosinus verkündete ja auch Unerhörtes. Er degra-dierte die Kreuzritter zu Ahnherren der SS, entthron-te Luther, ließ ihm wohl die Bibelübersetzung und sein Verdienst um die deutsche Sprache, dafür krei-dete er ihm sein Pamphlet wider die aufrührerischen Bauern an und den verdammten deutschen Kadaver-gehorsam aller Generationen nach ihm. Unser vor-271
    maliger Liebling, der Alte Fritz, schrumpfte bei Cosinus zu Friedrich Zwei, Bismarck, dessen Landgut wir im Krieg mal auf einer Klassenfahrt besichtigt hatten, verlor seinen Glorienschein, von Hindenburg und Ludendorff gar nicht erst zu reden.
    U.: Bismarck ist mir ein Begriff, aber Hindenburg und Luden…?
    B.: Ludendorff. Zwei Generale aus dem ersten Weltkrieg, Feldmarschälle, die…
    U.: Danke, das reicht mir.
    B.: Manchmal kam Wiedemann und erzählte uns
    von Marx und Engels, den »Heroen« des Marxismus, den vier »leuchtenden Sternen am Himmel der Ar-beiterbewegung«, Marx, Engels, Lenin, Stalin…
    U.: Stalin als Heros des Marxismus? Ach ja, damals lebte er ja noch.
    B.: Und wie er lebte. Er war nicht nur »allwissend« und »allmächtig«, er war auch allgegenwärtig.
    U.: Das verstehe ich nicht.
    B.: Ich auch nicht mehr. Aber damals schien es uns nicht einmal komisch, wenn man ihn in jedes Präsidium wählte, sogar bei uns in Papenberg.
    U.: Wie denn das?
    B.: Nun, da war dann ein leerer Stuhl, auf dem er symbolisch saß. Sein heiliger Geist weilte sozusagen unter

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