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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Jahre später, 1950, ging ich nach Berlin.
    Eines Tages, ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, hörte ich einen Vortrag über Raumfahrt. Im Haus der sowjetischen Kultur. Zum ersten Mal erfuhr ich etwas Genaueres über Raketen, hörte von Schub-kraft und kosmischen Geschwindigkeiten, von ersten Plänen für Raumstationen, einem Observatorium auf dem Mond… Ich hätte weinen können, so knurrte mir der Magen, ich hatte nur ein paar Schrippen mit 279
    Blutwurst gegessen, die Lebensmittelkarten waren fast alle, mein Geld auch Sie wissen nicht, was Hunger ist, nicht wahr?
    U.: Nein.
    B.: Während der Referent die dritte kosmische Geschwindigkeit an der Tafel berechnete, rechnete ich nach, ob ich mir ein Stammgericht leisten könnte das war so eine dünne Suppe, die es ohne Lebensmittel-marken gab, aber da mußte man vor zehn Uhr in der Gaststätte sein; ich blieb sitzen, und als ich dann in meinem möblierten Zimmer versuchte, meinen Magen mit warmem Wasser zu betrügen, war ich sicher: Ich würde es erleben. Und als ich dann später über Gagarin schrieb…
    U.: Sie waren, verzeihen Sie, Sie sind Schriftstel-ler?
    B.: Nein, Journalist. Ich schrieb wissenschaftliche Beiträge für eine Wochenzeitschrift.
    U.: Sie haben eine wissenschaftliche Ausbildung?
    B.: Nein. Überhaupt keine.
    U.: Wie war es dann möglich…
    B.: Damals war alles möglich. Überall fehlten Kader. Man mußte sich noch nicht als Kind entscheiden, was man sein Leben lang tun wollte. Ich konnte schreiben, und ich interessierte mich für wissenschaftliche Themen in den ersten Jahren war ich Reporter, reiste umher, aber dann wurde das Weltall mein Arbeitsgebiet.
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    U.: Gab es nicht mehr genügend Probleme auf der Erde?
    B.: Zu viele! Vor allem für einen Journalisten und…
    U.: Warum reden Sie nicht weiter?
    B.: Das gehört nicht zur Sache.
    U.: Ich würde es trotzdem gerne hören.
    B.: Nun ja, ich bin alt genug, um mir nichts mehr vorzumachen. Die Beschäftigung mit der Weltraumfahrt war auch eine Flucht. Journalismus war nicht immer ein Vergnügen. Zu viele Tabus, zu viele Themen, die nicht angepackt werden durften, vor allem keine Probleme, keine Widersprüche; Schön-färberei andere flüchteten in die Auslandsberichter-stattung oder ganz aus dem Beruf. Oder in den Alkohol. Ich eben ins All. Zufrieden?
    U.: Warum dieser aggressive Ton, Herr Pachnik-ke? Ich versuche nur, Sie zu verstehen. Und ich glaube, ich habe verstanden, warum Sie so auf das All fixiert sind. Aber was können die jungen Leute im Hotelcafe dafür, daß Sie vor einem halben Jahrhundert in das Weltall flüchteten?
    B.: Es war nicht nur eine Flucht. Der Mensch braucht große Ziele, etwas, das über den Alltag, über ihn selbst hinausweist, davon laß ich nicht ab. Das All ist solch ein Ziel, Sie hätten die Nacht erleben sollen, in der die Amerikaner auf dem Mond landeten…
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    U.: Sie wollten über Ihren Gagarin-Beitrag erzählen.
    B.: Stimmt. Mein Text über Juri Gagarin wurde derart überschwenglich, daß der Chefredakteur ihn mir zurückgab. Er halte dafür, auch bei Himmelfahr-ten mit einem Bein auf der Erde zu bleiben, bis zum ersten Rendezvous mit den Außerirdischen sei doch wohl noch ein wenig Zeit. Und dann mußte ich mir anhören, daß die Lichtgeschwindigkeit dem Menschen Grenzen böte, wenn schon nicht meiner Phantasie, so doch dem, was er noch für druckreif halten könne. Wir, so sagte er, wir werden es bestimmt nicht mehr erleben. Ich doch, erklärte ich. Ich bot ihm sogar eine Wette an. Ich glaube, ich war verbissen wie ein Jesuit, dem gerade die Jungfrau Maria erschienen ist. Wir haben an diesem Abend noch lange in der Redaktion gesessen, es war eine Nacht wie am 17. Juni oder am 13. August aber das sagt Ihnen wohl nichts?
    U.: Doch, warten Sie…
    B.: Nicht wichtig in diesem Zusammenhang. Wir wußten alle, wir erlebten eine Stunde von histori-schem Rang. Wir debattierten bis in den Morgen, tranken am Ende sogar noch den Repräsentations-schnaps. Irgend jemand holte ihn, und der Chef akzeptierte es stillschweigend. Unsere Ideen nicht. Er hielt nicht viel davon, über sein Leben hinaus zu denken, es tat ihm weh. Er war knapp dreißig und 282
    schon ein Wrack. Ich muß allerdings zugeben, daß unsere Phantasien immer ausschweifender wurden.
    Die utopischsten Geschichten schienen plötzlich in den Bereich des Möglichen gerückt. Wir entwarfen Serien von Beiträgen über das soeben angebrochene neue Zeitalter. Wir stießen in die Jahrtausende vor,

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