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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Konfirmation rechnen solle. Warum? fragte Heiner. Man muß ehrlich sein, erklärte ich. Zu dem auch?
    Hatte der Pastor nicht jahrelang die, wie Heiners Vater es nannte, hakengekreuzigte Fahne aus dem Fenster gehängt und war dann der erste gewesen, der in Papenberg das entnazifizierte Tuch heraushängte?
    Nur der weniger ausgeblichene Kreis verriet ihn. Judas hädd flaggt, sagte Heiners Vater.
    U.: Das habe ich verstanden.
    B.: Na, wir klingelten nicht beim Pastor, auch nicht am nächsten Tag, zur Konfirmation brauchten wir auch nicht zu ihm zu gehen, da war er schon mit Sack und Pack und seinen vier Töchtern nach dem Westen abgehauen, weil jetzt, wie er meiner Groß-
    mutter zum Abschied sagte sie zitierte ihn noch jahrelang als fachmännischen Zeugen –, weil jetzt schreckliche, gottlose Zeiten anbrachen. Die Konfirmation hielt der alte Pastor Sommer aus Finnow, sogar Cosinus, der uns doch nachgewiesen hatte, daß 276
    nirgends ein Eckchen für den lieben Gott frei war, grüßte ihn öffentlich, denn Pastor Sommer hatte bei den Nazis im Gefängnis gesessen, und das war ein Grund mehr, mich nicht vor der Konfirmation drükken zu können, ganz abgesehen von dem Terror bei mir zu Hause. Darf ich noch eine rauchen?
    U.: Wenn es unbedingt sein muß.
    B.: Danke. So habe ich dann als Ungläubiger das heilige Abendmahl genommen, und da ich mir schä-
    big vorkam, sang ich wenigstens nicht mit. Dann doch. Wissen Sie, es ist nicht einfach für einen Vier-zehnjährigen, allein und von Gott verlassen unter lauter Singenden zu hocken und gegen die Musik eines Johann Sebastian Bach anzuschweigen. Aber das war schon ein halbes Jahr später. An diesem Abend kam ich mir unheimlich verloren vor, zumal als Heiner sich verabschiedet hatte. Was bleibt von einem Menschen, wenn man an ihn das Maß der Unendlichkeit legt? Wenn unser Planet unterginge, so hatte Cosinus gesagt, selbst wenn er mit einem einzigen Feuerschlag explodierte, nicht einmal ein paar Sterne weiter würde man es merken, so klein sei die Erde, außerdem läge unsere Sonne fast im äußersten Winkel der Milchstraße, eine Art kosmischer Kuhbläke. Als ob einer in Moskau sehen konnte, wenn am Dreierberg eine Scheune abbrannte. Ich rannte nach Hause, und unter dem Deckbett betete ich: HERR, vergib mir. Hatte nicht auch Christus dem 277
    Petrus verziehen? Ach, wie oft ich noch in Versuchung kam, mich wieder mit Gott einzulassen! Es ist leichter, mit den Göttern zu leben als mit der Erkenntnis. Und wer tauscht schon gerne vom Nabel des Universums, dem Gott erwählten Zentrum der Welten, auf eine Kuhbläke am Rande einer von vielen Milliarden Galaxien? Wer möchte nicht glauben, daß unsere Erde, ja, daß er selbst das Wichtigste in dieser Welt sei?
    U.: Das ist ein Problem, aber…
    B.: Ich bin gleich bei heute. Nur eine Sache noch, ja?
    U.: Wenn es zum Verständnis beiträgt.
    B.: Unbedingt. Sehen Sie, es hat lange gedauert, bis ich wieder in die Sterne gucken konnte und mehr erblickte als nur meine eigene Winzigkeit, und noch heute überfällt mich dann nicht nur unheimliche Faszination, sondern auch Hilflosigkeit.
    Ich denke, ich habe mich deshalb so viel mit der Weltraumfahrt beschäftigt, um damit fertigzuwerden.
    Muß man sich nicht gegen den Gedanken von der Bedeutungslosigkeit des einzelnen auflehnen, gegen diese zerstörerische Versuchung?
    U.: Zerstörerische Versuchung, sagten Sie?
    B.: Ja, das sagte ich, aber nicht im Hinblick auf heute nachmittag. Wenn unser Planet, wenn die Menschheit in diesem Universum ein Nichts ist, was hat dann noch Sinn und Wert?
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    Ist dann Moral nicht geradezu lächerlich? Darf man dann nicht tun und lassen, was man will? Hat dann nicht der recht, der die Menschen verachtet und mit ihnen spielt wie mit Bleisoldaten? Solange man an einen Gott glaubt, besitzt man immer einen festen Punkt. Einen Halt. Trost in jeder Situation und Antwort auf jede Frage. Bedenken Sie, daß ich damals in kurzer Zeit die beiden Fixpunkte meines jungen Lebens verloren hatte: Hitler und Gott. Und damit auch den dritten Halt, meine Familie – sie hatte mich doch sowohl auf Gott wie auf Hitler eingeschworen, woran sollte ich nun noch glauben, woran mich halten?
    Sie wollten nicht mal meine Fragen hören, ich war wie ein Fremder zu Hause. Nicht nur mir ging das so vielleicht waren wir deshalb so leicht bereit, diesen Stalin zu vergöttern?
    U.: Ein interessanter Gedanke.
    B.: Aber er gehört nicht hierher. Ich wollte über etwas anderes sprechen. Wenige

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