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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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uns. Er war unser Gott. Von seinen Verbrechen hatten wir nicht einmal eine Ahnung. Als wir davon erfuhren…
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    U.: Ist das wichtig in diesem Zusammenhang?
    B.: Ich glaube nicht. Nein.
    U.: Wir waren bei dem Bildungszirkel, bei Wiedemann, als ich Sie unterbrach.
    B.: Er erzählte uns von Internationale, Sozialisten-gesetz und Revolution das hatten wir am liebsten, denn da landete er unweigerlich bei dem Matrosen-aufstand in Kiel, den er mitgemacht hatte, und der Besetzung des Berliner Marstalls –, entschuldigen Sie, ich verliere mich in meinen Erinnerungen.
    Ich bin halt ein alter Mann.
    U.: Ach, das ist schon ganz interessant, ich weiß nur nicht, was dieser Bildungszirkel mit Ihrem Rowdytum zu tun haben soll.
    U.: Eine ganze Menge. Dieser Zirkel und die Au-
    ßerirdischen.
    Damals fing das an. Eines Abends holte der Cosinus uns die Sterne vom Himmel. Er gliederte sie in Sternbilder, dann in Milchstraßen und gab uns eine erste Ahnung von der Unendlichkeit. Wie winzig und unbedeutend der Mensch auf seiner Erde war und wie groß zugleich, da er doch mit seinem Gehirn die ganze Welt erfassen konnte. Von Raumfahrt und Sternenschiffen erzählte er, und daß es gar nicht mehr so lange dauern könne, höchstens noch ein-oder zweihundert Jahre, ja, vielleicht würden wir selbst es noch erleben. Sehen Sie, an diesen Abend kann ich mich erinnern, als sei es erst gestern gewe-273
    sen. Der Himmel hatte die Durchsichtigkeit der letzten Nacht vor dem Schnee. Kennen Sie das?
    U.: Ja. Zauberhaft solch eine Nacht!
    B.: Bestimmt war es der ungewöhnlich offene
    Himmel, der den Cosinus verleitet hatte, uns so un-vorbereitet, so unvermittelt aus unserer Ahnungslosigkeit zu reißen, uns mit einem Ruck von Papenberg ins All zu schleudern. Direkt über dem Dreierberg stand der Große Wagen, und der kleine Reiter, den man heute kaum noch im Hochgebirge mit bloßem Auge ausmachen kann, hier in der Stadt schon gar nicht, thronte blinkend über dem zweiten Deichsel-stern. Ich stand mit Heiner, meinem besten Freund, noch lange an der Postecke. Wir teilten uns seine letzte Zigarette, rauchten umschichtig in bedächtigen Altmännerzügen und sahen in den Himmel, bis uns der Nacken steif und im Kopf trieselig wurde. Die Milchstraße war also eine flache Scheibe aus vielen Milliarden Sternen, von denen wir nur wenige sahen.
    Und von den anderen Pünktchen waren einige selbst wieder Milchstraßen. Milliarden sollte es davon geben. Wieviel ist hundert Milliarden mal hundert Milliarden? Und nirgendwo ein Platz für den lieben Gott. Das war das Aufregendste, verstehen Sie?
    U.: Ja, wenn Sie vorher gläubig gewesen waren…
    B.: Und wie! Ich stamme aus einer erzprotestanti-schen Familie. Daß die Wolken nicht der Himmel waren, in dem der liebe Gott und seine Engel sich 274
    tummelten, wußte ich längst, aber an diesem Abend verloren wir uns in die neue Unendlichkeit, in der man Träume aussäen konnte, die viel erregender waren als alle Bibel- und Märtyrergeschichten, als alle Indianerbücher und Heldensagen. Wir reisten zu den entferntesten Galaxien die Lichtgeschwindigkeit war uns noch keine Grenze, die nahmen wir erst später durch. Auf einem Stern, der direkt über dem Kirch-turm stand, begegneten wir unheimlichen Wesen, die hatten den Mund auf dem Bauch und die Augen in den Händen, wir fuhren zu den Feuerriesen und den achtbeinigen Zwergen, kreuz und quer durch das All, bis wir auch den letzten Krümel Machorka in meiner Pfeife verqualmt hatten.
    U.: Machorka?
    U.: Gehäckselte Tabakstiele. Eigentlich nur die dicken Rippen der Tabakblätter…
    U.: Ach so.
    B.: Heiner trampelte von einem Bein auf das andere, denn seine Holzschuhe hatten bannige Risse in den Sohlen, durch die kroch die Kälte. Auch ich fror jämmerlich in meiner dreifarbigen Strickjacke. Ach, Schiet, sagte ich, wi waren dat doch nich miehr erleben. Kiek di an, Sternfahrer entschuldigen Sie, verstehen Sie plattdeutsch?
    U.: Nein.
    B.: Guck dich doch an, Sternfahrer, sagte ich, mit deinen Holzpantinen kommst du nicht mal bis Nien-275
    hagen. Heiner spuckte aus. Und du auch nicht mit deinen Oderkähnen. Da hatte er recht, die waren drei Nummern zu groß und drückten trotzdem. Haben Sie mal Holzschuhe angehabt? Aber daß wir nicht in Papenberg versauern würden, das war an diesem Abend beschlossene Sache. Hast du noch an Gott geglaubt?
    fragte Heiner. Nein, sagte ich, schon lange nicht mehr. Und wir sollten zum Pastor gehen und ihm sagen, daß er nicht mehr mit unserer

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