Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
Vittorio den Tiber überquert, scheint man in eine andere Welt einzutauchen, eine Welt, die sich in mystischer Weise von ihrer tosenden Umgebung abhebt. Zwar finden auch in den weitläufigen Gebäudekomplexen des Vatikans Weihnachtsvorbereitungen statt, es dreht sich hier aber weniger um Lametta oder Geschenke, sondern mehr um die Vorbereitungen einer aufwändigen Liturgie. In diesen ehrwürdigen Hallen scheint alles die Tradition der Jahrhunderte zu atmen. Würdevolle Geistliche im schwarzen Ornat des Monsignore oder im Purpurrot des Kardinals schreiten gemessen durch die Gänge und begutachten kritisch die Vorbereitungen, Ordensschwestern huschen nahezu lautlos durch die Gänge, um tausend Dinge zu richten, und in den Kapellen und Kirchen üben Chöre und Organisten für die Weihnachtsmessen.
Etwas abseits dieser Vorbereitungen, im Heiligen Offizium, Piazza del Sant’ Uffizio Nr. 11, dem Amts- und Verwaltungsge-bäude des Vatikans, im zweiten Stock des ehrwürdigen Hauses, saß Kardinal Vincenzo Sarrafini, seines Zeichens Prosekretär der Kongregation für die Glaubenslehre. Der hohe Geistliche war im langjährigen Dienst für den Heiligen Stuhl schon recht grau geworden, aber wer die hellblauen Augen sah, die aus einem kantigen Gesicht blitzten, seine temperamentvolle Gestik und das glatte, von keiner Furche durchzogene Gesicht, der mochte ihm die zweiundsiebzig Jahre nicht abnehmen.
Der Kardinal saß schweigend einem Mann gegenüber, der nicht so recht in diese heiligen Räume passen wollte. Denn obwohl der hünenhafte Mann die Ordenstracht der Benediktiner trug, verrieten seine groben Züge und das vernarbte Gesicht, dass er noch nie ein Kloster von innen gesehen hatte. Auch die klobigen Hände legten beredt Zeugnis dafür ab, dass er mit ihnen viel besser umzugehen wusste als mit einem Gebetbuch. Tatsächlich hätte man in ihm eher einen türkischen Türsteher als einen Ordensbruder vermutet. Aber in diesen Räumen verhinderten eine Soutane oder eine Ordenstracht mitunter, dass man allzu lästigen Fragen ausgesetzt war.
Aufmerksam lauschte der Kardinal dem Bericht des Mannes, der geradewegs vom Flugplatz gekommen war. Er sprach in passablem Englisch, obwohl es offenkundig nicht seine Heimatsprache war. Jetzt verzog der geistliche Würdenträger sein asketisches Gesicht und hob die schmale, nervige Hand. Sein Gegenüber schwieg abrupt. Einen Augenblick schien der Kardinal über den Bericht nachzusinnen, er fuhr mit den feinen Fingern durch das kurze eisgraue Haar. Dann fixierte er seinen Gesprächspartner mit einem kühlen Blick.
»Und die übrigen Texte könnten theologischen Inhalts sein?«
»Die anderen waren es jedenfalls, Eminenza!«
Der Kardinal schüttelte den Kopf und seufzte.
»Dann bleibt uns nichts anderes übrig. Du wirst sofort zurückfliegen und alles, hörst du, Boris, alles, was nicht gegen unsere Regeln verstößt, tun, um dich in den Besitz der verbliebenen Rollen zu bringen.«
Er nahm mit gezierter Bewegung einen Schluck aus seiner Teetasse zu sich und fuhr dann mit leiser Stimme fort: »Besteht nicht auch die Möglichkeit, dass sich an der ... äh ... Fundstelle in der Kirche, wie hieß sie noch ...?«
»St. Pantaleon, Eminenza.«
»Ja, richtig, also dass sich in dieser Kirche noch weitere Schriftrollen befinden? Hat man das überprüft?«
Zum Leidwesen des Kardinals schüttelte der Mann den kantigen Kopf.
»Aha! Also wird man das sofort überprüfen!«
Mit diesen Worten überreichte er dem Mann in der Mönchstracht einen Umschlag.
»Dein Flug geht um 19.20 Uhr. Ich erwarte deinen Bericht umgehend – auf dem üblichen Weg! Du hast noch den Wagen in Köln?«
»Jawohl, Eminenza, hab ich. Sie können sich auf mich verlassen!«
Demütig küsste der Mann mehrfach den Ring des Kardinals, der diese Geste der Unterwerfung mit Gelassenheit entgegennahm, und verschwand so unbemerkt aus dem vatikanischen Amtsgebäude, wie er gekommen war.
***
Neben den Geheimnissen der lateinischen Sprache, den Künsten der Philosophie und den Kenntnissen der Historie verfügte Dr. Justus Wiegand ohne Zweifel über eine weitere wesentliche Fertigkeit, nämlich die des Kochens. Und Pizza Inferno, himmlisch gut, aber höllisch scharf, gehörte zu seinen besonderen Spezialitäten. Dazu benötigte man neben dem Pizzateig, der eine durchaus untergeordnete Rolle spielte, Unmengen von Paprika, Tomaten, Peperoni und eine gute Portion thailändischer Chilis.
Eben lehnte Hellinger sich genießerisch zurück
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