Die Pilatus-Verschwörung (German Edition)
Oberbefehlshabers gab. Ein Germane aus dem Stamm der Bructerer hatte sich unter sein Gefolge gemischt, machte sich aber durch sein unruhiges Wesen verdächtig und gestand unter der Folter sein Vorhaben. Als wir davon hörten, waren wir ihm fast dankbar, denn immerhin stellte der Vorfall eine kleine Abwechslung in der Eintönigkeit der Lagerroutine dar.
In dieser Zeit wurde mir zweimal ein Urlaub gewährt, den ich nutzte, um meine Angelegenheiten in Rom zu ordnen. Inzwischen warmein Vater gestorben, doch – fast schäme ich mich dieser Worte – ich konnte keine Trauer empfinden. Ich übergab Haus und Geschäfte an unseren Verwalter Gabinius und mied fortan die Einsamkeit meines verwaisten Elternhauses. Ein kurzes Treffen mit Seianus machte mir klar, dass ich mich hinsichtlich meiner Karriere in weiterer Geduld zu üben hatte.
»Die Berichte, die ich über dich empfange, sind äußerst positiv«, hatte er voller Wohlwollen gesagt. »Es ist nur noch eine Frage kurzer Zeit, bis wir für dich einen angemessenen Posten haben werden.« Damit war ich entlassen und um die Illusion einer baldigen Beförderung ärmer.
Selbstverständlich machte ich auch meiner Verlobten die geschuldete Aufwartung. Ich fand Claudia Proculeia im Zustand geduldiger, liebevoller Erwartung vor. Ihren Vorschlag, mir nach Germanien zu folgen, lehnte ich entschieden ab. Dieses Land mochte ich ihr nicht zumuten. Ich überließ sie der sicheren Obhut ihrer Tante und reiste zurück in die öde Langeweile meines Dienstes.
Dann aber nahmen die Angelegenheiten plötzlich eine dramatische Wendung.
XVI.
Wiegand nahm den Hörer ab.
»Wiegand.«
Eine unbekannte Stimme fragte: »Is ... ist da ... äh ... Popovic?«
»Nein, Sie müssen sich verwählt haben.«
»Tschuldigung!« Dann wurde wieder aufgelegt.
Nachdenklich blickte Wiegand seine Gäste an.
»Das war die gleiche Stimme.«
»Wie?«
»Die gleiche Stimme, die heute Nachmittag schon einmal angerufen hat. Er nannte sich Schulz, aber das war sicher nicht sein richtiger Name.«
»Und was kann das bedeuten?«, fragte Conny. Ihr hübsches, gerötetes Gesicht verriet Angst und Sorge.
Wiegand schüttelte den Kopf und griff nach seiner Pfeife, um sie am Aschenbecher auszuklopfen.
»Ich weiß es nicht, aber ich habe den Eindruck, dass die Sache sich zuspitzt. Die ominösen Anrufe, der Besuch des Kaplans. Frank, da bahnt sich was an, was wir nicht mehr unter Kontrolle haben.«
»Aber die Rollen geb ich nicht raus«, entgegnete Hellinger trotzig.
»Vielleicht wollte der große Unbekannte auch nur wissen, ob jemand hier ist?« Conny knabberte an ihrem Finger, das tat sie immer, wenn sie nervös war.
»Warum sollte er das tun?«
»Das liegt doch auf der Hand, Frank!« Wiegand nahm einen Zug aus seiner Pfeife und blies den blauen Rauch in feinen Kringeln aus, was Conny zu einem leichten Hüsteln veranlasste.
»Vielleicht möchte er uns einen Besuch abstatten, oder besser gesagt: den Rollen.«
»Aber die sind doch gar nicht hier!«
»Ja, aber das kann er ja nicht wissen, nicht wahr?«
»Stimmt!«, meinte Hellinger düster.
»Sie meinen wirklich ...?«
»Ja, Conny«, unterbrach Wiegand. »Ich fürchte, wir haben es hier mit einem Gegner zu tun, der vor nichts zurückscheut, auch nicht vor einem ... Einbruch.«
»Sollten wir dann nicht besser die Polizei benachrichtigen?«
»Conny, mein Schatz, das ist jetzt aber wirklich blöd, was du sagst.« Hellinger schüttelte unwillig den Kopf. »Was sollen wir denen denn sagen? Dass wir einige Anrufe von Unbekannten erhalten haben? Und als Erstes müssten wir wahrscheinlich die Rollen herausgeben, ist es nicht so, Doktor?«
»Sie haben Recht, Frank. Zur Polizei können wir nicht gehen. Aber wir sollten in nächster Zeit alle besonders gut aufpassen.«
»Und worauf ?«
Aber auf diese Frage wusste der pensionierte Oberstudienrat auch keine Antwort.
***
Kaltes Neonlicht erfüllte abrupt den Gang, nachdem Professor Kohlbruch den Schalter betätigt hatte. Aber abgesehen von dem sirrenden Geräusch der Lichtröhre herrschte absolute Ruhe. Der Gang war leer, aber dem aufmerksamen Blick des Gelehrten entging nicht, dass die Dianafigur in anderer Position stand als zuvor. Zögernd ging er den Gang entlang in Richtung Treppenhaus. Seine Hände fischten die Schlüssel aus der Tasche. Wenn er hier etwa einem Einbrecher begegnete, wollte er nicht völlig schutzlos sein. Mehrere Schlüssel in der rechten Form zwischen den Fingern konnten schon etwas
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