Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
verließen das Lager, kletterten die steilen Hänge hinauf, wohin niemand ihnen folgen würde, ließen sich in einer mit Gras bewachsenen Mulde nieder. Wie fast jeden Abend suchten sie die Kopfhaut nach Nissen und Läusen ab und kämmten sich gegenseitig die Haare. Leise klimperten die Kreuze und Perlen und Glöckchen an ihrem Ohrgehänge.
Bernhard ließ seine Hände durch Alice’ Haare fahren, roch an ihren blonden, widerspenstigen Locken, sagte etwas von ›schönster Zierde der Frau‹ und raunte ihr zu, dass er sie erregend fände.
Dann schliefen sie miteinander. Alice fühlte mit all ihren Sinnen, dass sie sich nicht aus eigener Kraft von ihm trennen könnte.
Wieder im Lager angelangt, hockte sich Alice neben Theresa, die am Feuer saß und mit Appetit in eine Hammelkeule biss.
»Iss auch was, Alexios hat sich nicht lumpen lassen und uns mit bester Verpflegung versorgt.«
Alice erwiderte, sie habe keinen rechten Hunger. Die Nonne ginge ihr nicht aus dem Sinn.
»Kein Grund zu verhungern. Du kannst auch an sie denken, wenn du es dir schmecken lässt. Sie hat dich bestimmt längst vergessen und liegt nun in den Armen ihres geliebten Mannes.«
»Alle sagen, sie sei wegen der Wollust zu ihm zurückgekehrt. Das glaube ich aber nicht, jedenfalls ist das nicht der einzige Grund«, überlegte Alice.
»Weshalb denn sonst?«
»Sie war schwanger. Abgesehen davon, dass sie sicher wollte, dass ihr Kind einen Vater hat und eine Schwangerschaft für eine Nonne besonders heikel ist, graute ihr gewiss davor, die Strapazen einer Pilgerfahrt in diesem Zustand auf sich nehmen.«
»Ach, Alice. Warum denn nicht? Fast alle Frauen sind hier schwanger. Das ist doch normal, dass man als Frau immerzu schwanger ist. Jeden Tag wird mindestens ein Kind geboren.«
Alice fühlte sich bei diesem Gespräch unbehaglich, über Schwangerschaft und Kinder dachte sie nicht so gerne nach, besonders, seitdem sie vor ihrem Aufbruch zurück nach Passau und mit dem festen Entschluss, Nonne zu werden, das restliche Sadebaumöl ausgeschüttet hatte. Bisher war wohl noch nichts passiert.
Sie wechselte das Thema.
»Weißt du, was mich besonders beeindruckt hat bei der Nonne? Ihre Rechenkünste. Ihr Mann hat Eva Mathematik beigebracht, das Rechnen mit arabischen Zahlen.
Eva fragte mich, ob ich Schreibzeug dabei hätte. Natürlich hatte ich das als Tochter eines Kaufmanns. Sie forderte mich auf, ich sollte mir Rechenaufgaben ausdenken. Ich rechnete also mit römischen Zahlen, sie mit arabischen. Bevor ich überhaupt die Zahlen aufgeschrieben hatte, und ich kann gut rechnen, hatte sie die Aufgabe schon gelöst.«
»Arabische Zahlen sind des Teufels, heißt es.«
»Ja, das habe ich auch eingewandt.
Eva sagte, sie habe darüber nachgedacht. Wenn Gott den Menschen die Fähigkeit gegeben habe, so flink zu rechnen und niemandem dadurch Schaden entstünde, sei es sicher keine Sünde. Weißt du, wir lernen so wenig auf dieser Pilgerfahrt.«
»Da bin ich anderer Meinung«, sagte Theresa und sah von ihrer Hammelkeule hoch, in die sie weiterhin mit Appetit gebissen hatte.
»Wir lernen, Entbehrungen auf uns zu nehmen, obwohl das hier gerade köstlich ist. Versuch mal die Früchte. Sie sind nicht giftig, obwohl besonders die Ritter Datteln für ungenießbar halten. Wir lernen Geographie oder hättest du jemals sonst etwas vom Askan-See oder von einem Gipfel Avdan Dagi, einem Dorf Lefke oder vom Blauen Fluss gehört, den wir morgen überqueren werden? Wir lernen es, Wunden zu säubern und zu verbinden, Kranke gesund zu pflegen, Frauen bei der Geburt zu helfen. Du wirst sehen, wir werden hier noch so gebildet wie Ärzte.«
»Hast du es gut, dass du keinen Liebsten hast«, seufzte Alice. »Du hast deinen hübschen Kopf frei und kannst die ganze Zeit an vernünftige Dinge denken.«
»Einen Liebsten habe ich sicher nicht. Aber dass mir keiner gefällt, kann ich auch nicht sagen.«
Alice horchte auf. »Wer ist es denn?«
»Neugierig?«
»Natürlich.«
»Es ist der junge Ritter, der so lange im Krankenzelt gelegen hat. Ich konnte nur ein paar Worte mit ihm wechseln, weil er dauernd von diesem Mönch versorgt wurde.«
»Martin?«
Theresa nickte. »Du kennst ihn?«
»Ja, ja. Aus Passau. Aus Passau kenne ich ihn«, sagte Alice zerstreut. »Aber Martin ist kein Ritter.«
»Er sei, wer er sei«, war Theresas altkluge Antwort.
»Vielleicht wird er ja noch einer!«, lachte sie und sah mit ihren Sommersprossen sehr hübsch aus.
Die Schwangeren ließen Alice
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