Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
kreischend auf, als sich der Zug einem mit Schilf bewachsenen Sumpf näherte. Sie machten Halt. Bohemund befahl, dass an diesem Ort die Nacht gelagert werden sollte.
Alice führte ihre Stute Treugold zu einer Wasserstelle, wo schon Hunderte anderer Pferde standen. Sie war müde und es leid, darüber nachzudenken, ob sie nun Bernhards Ohrringe abnehmen sollte oder nicht. Ziemlich lustlos aß sie Brot und Oliven, wickelte sich in ihre Decke und beschloss, diesen unerfreulichen Tag möglichst schnell zu beenden. Alice fühlte sich allein, weil sie keine der Frauen und überhaupt niemanden aus dem fremden Heer kannte und auch niemand sie beachtete. Eine Mitläuferin mehr.
Es war schon finster, da ging ein Rascheln, Raunen durch das Lager.
Frauen hockten zusammen, machten beim Schein der Feuer aufgeregte, sorgenvolle, furchtsame Gesichter.
Alice setzte sich auf und versuchte, etwas mitzubekommen.
»Kilidj Arslan«, wurde ängstlich und beinahe ehrfurchtsvoll geflüstert.
Sie gesellte sich zu den fremden Frauen, verstand aber ihre Sprache nicht.
Verwirrt blickte sie von einer zur anderen. Da setzte sich eine freundlich aussehende Normannin zu ihr, ebenso blond wie sie selbst, sie hielt einen Säugling im Arm und sprach Alice auf Latein an:
»Du bist neu hier?«
Alice nickte.
»Ich bin Maria aus dem Heer Bohemunds. Seine Späher haben einige Krieger Kilidj Arslans ganz in der Nähe gesehen.«
Alice wurde blass.
»Nun erschrick nicht. Es hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Es ist ja selbstverständlich, dass Kilidj Arslan unser Heer beobachtet und genauso seine Späher hat wie wir die unsrigen. Bohemund ist stark und kriegserfahren, er weiß schon, was er tut.«
»Und wenn es ein Heer ist? Und wenn sie uns morgen früh angreifen?«
Die Frage hing schreckensvoll in der Nacht, während jeder versuchte zu schlafen.
Alice wälzte sich hin und her. Sie fühlte sich keineswegs beruhigt, auch wenn das Lager die ganze Nacht bewacht wurde.
Maria ermahnte sie: »Nun bleib mal still liegen, Fremde.«
Alice aber wurde es heiß und kalt, während sie regungslos unter ihrer Decke lag und fieberhaft überlegte:
›Wenn es ein türkisches Heer ist, dann müssen wir Herzog Gottfrieds und Graf Raimonds Heere holen, und zwar noch heute Nacht.‹
Bernhard hatte sie davor gewarnt, mit dem kleinen Heer Bohemunds mitzugehen, sie aber hatte ihren Dickkopf durchsetzen wollen. Welche Vorwürfe würde er ihr machen, falls es überhaupt noch die Gelegenheit dazu gäbe.
›Warum schicken wir keinen Boten?‹, dachte sie verzweifelt.
Das war es. Sie, Alice, müsste zu Bohemund gehen und ihm sagen, er solle einen Boten zu den Hauptheeren schicken.
Unmöglich.
Der würde sie niemals im Leben empfangen.
Und wenn doch, dann würde er sie streng zurechtweisen. Sie als Frau habe sich in Entscheidungen der Heerführer nicht einzumischen, sie verstehe sowieso nichts von Kriegsdingen. Vor Bohemund hatte jeder Angst, gerissen, brutal und mächtig, wie er war.
Das ging also nicht. Sie müsste sich heimlich an den Wachen vorbei aus dem Lager schleichen und den Weg zurück zu Herzog Gottfried reiten. Noch nie war sie allein nachts auf einem Pferd unterwegs gewesen. Das war ziemlich heikel. Sie wusste nicht einmal, wo Gottfrieds Heer sich befand. Und wenn sie es trotz der Dunkelheit schaffte und tatsächlich dort ankäme, ohne dass ein Krieger von Kilidj Arslan sie vorher ermordet hätte, dann würde Herzog Gottfried ihr natürlich auch nicht glauben, eben weil Bohemund es nicht für nötig erachtet hatte, einen Boten zu schicken.
Wenn er aber tatsächlich mit seinen Rittern aufbräche, wie wütend wären sie, welche Vorwürfe würde sie zu hören bekommen, wenn sich ihre Pferde in der dunklen Nacht die Beine brächen – und nichts würde passieren. Kein Angriff.
Und wie unbeschreiblich zornig wäre Bernhard. Peinlich wäre das für ihn.
Also still liegen bleiben und Angst haben.
Nein, entschied Alice. Es kommt kein Angriff. Bohemund hätte tatsächlich sonst einen Boten geschickt. Ich werde mit diesem Aberglauben endlich aufhören und meine Ohrringe abnehmen.
Es zeigte sich gerade ein schmaler Lichtstreifen am Horizont über den Hügeln, da kehrten einige Späher Bohemunds zusammen mit dem Byzantiner Tatikios ins Lager zurück.
Rufe, Geschrei drangen zu Alice. Noch in ihre Decke gehüllt, stand Alice entsetzt da und sah, wie die Männer vom Tross die Wagen zu einem Halbkreis zusammenschoben. Maria, die ihr saugendes Kind an der
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