Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Gesprächsanfang, indem sie fragte:
»Ist Martin auch mit auf die Jagd gegangen?«
»Ja, natürlich. Er liebt die Jagd wie alle anderen Adeligen auch. Jedenfalls denke ich mir das. Ich weiß so wenig über ihn. Er ist der fröhlichste, offenste Mensch, den ich kenne, und gleichzeitig der geheimnisvollste.«
Als Alice darauf nicht antwortete, fragte Theresa unumwunden:
»Wie denkst du über ihn?«
»Ich kann dir über Martin nichts sagen. Ich weiß nicht, was er dir erzählt hat, und ich möchte nichts sagen, was ihm nicht lieb wäre.«
»Martin hat mir erzählt, dass er der natürliche Sohn eines Fürsten aus Deutschland ist. Sein Leben lang aber sei er der Knecht deines Vaters gewesen.«
»Dann weißt du genau so viel wie ich«, antwortete Alice. Sie merkte, über Martin wollte sie eigentlich nicht sprechen.
Theresa ließ jedoch nicht locker.
»Du und Martin, ihr seid doch am selben Tag geboren worden. Ist das nicht sonderbar? Dann muss der fremde Fürst bei euch im Haus gewesen sein.«
»Ich habe wirklich keine Ahnung, wer Martins Vater ist. Als Kind und manchmal sogar bis zur Pilgerfahrt nach Jerusalem habe ich bisweilen geglaubt, mein Vater sei auch Martins Vater. Das ist natürlich frevelhaft, denn dann hätte mein Vater an seinem Hochzeitstag auch mit der Magd, du verstehst schon, etwas haben müssen. Außerdem kann ich mir das von meinem Vater nicht vorstellen. Von Martha schon. Die war so eine. Nicht, dass sie es mit Männern getrieben hätte, aber nach dem Tod meiner Mutter hat sie alle Mägde und Knechte gescheucht und sich als Herrin des Hauses aufgespielt. Sie war auch meines Vaters Bettgenossin«, fügte Alice leise hinzu.
Alice spürte, wie Theresa jedes Wort in sich aufsog.
»Ich habe nie verstanden, warum sie Martin so schikaniert hat, wie den allerletzten Knecht behandelt hat. Dazu passte allerdings nicht, dass sie darauf bestand, Martin solle lesen und schreiben und rechnen lernen. Eines Tages hörte ich, wie sie in einem Streit mit meinem Vater ausrief, sie habe versprochen, dass er ein gebildeter junger Mann würde. Versprochen! Wem versprochen? Martins Vater, dem unbekannten Fürsten? Bei uns ist aber niemals ein Fürst nach der Hochzeit meiner Eltern zu Gast gewesen. Das wüsste ich. Aber Martha muss ihn ja getroffen haben, nachdem Martin geboren war.
Irgendwie hast du recht mit dem Geheimnis. Martin ist eigentlich nicht geheimnisvoll, aber es umgibt ihn ein Geheimnis.«
»Ja, und dann ist da dieser Brief«, gab Thersa zu bedenken. »Als ich einmal Martin fragte, was das Erste sei, was er in Jerusalem tun wolle, antwortete er, er werde den Brief vom Abt in der Grabeskirche vernichten und für die Seele deines Vaters beten.«
»Ich weiß von dem Brief. Er quält mich. Ich habe mir natürlich auch schon Gedanken gemacht, was darin stehen könnte. Es muss etwas mit der Schuld zu tun haben.
Theresa, der Abt wirft meinem Vater vor, er habe, also er habe meine Mutter die Treppe, also wir haben – hatten – eine Steintreppe, er habe sie die Steintreppe hinuntergestoßen.
Ich habe jahrelang nichts davon gewusst, nur geahnt, dass hinter dem Tod meiner Mutter eine furchtbare Tat steht. Dann, als dazu aufgerufen wurde, das Kreuz zu nehmen, kam der Abt plötzlich in unser Haus. Nachts, ich war selbst noch durchs Haus geschlichen, da habe ich ihn auf der Steintreppe gehört, wie er wohl die Stufen abtastete. Jedenfalls vermute ich das. Er hat irgendetwas gesucht. Höchstwahrscheinlich hat er, nachdem unser Haus an das Kloster verpfändet und wir uns auf die Pilgerfahrt gemacht haben, das ganze Haus vom Keller bis zum Boden abgesucht und irgendetwas gefunden, was meinen Vater entweder belastet oder entlastet.«
»Martin erzählt nichts über diese Familiengeschichten«, bemerkte Theresa. »Sie gehen mich natürlich auch nichts an, genau genommen. Das ist alles lange her und hat mit Martin und mir nichts zu tun.«
»Du magst ihn sehr.«
Theresa nickte.
»Für mich zählt nur, was heute für Martin wichtig ist. Da habe ich schon den Eindruck, dass er den Abt verehrt, sogar mehr noch als den Bischof Adhémar, obwohl er dem größte Achtung entgegenbringt. Aber keine Liebe. Ich glaube, neben dem unbekannten Vater liebt Martin nur den Abt.«
»Ich muss gestehen, ich mag ihn nicht, den Abt. Versteh mich recht, er ist nicht fromm. Ich meine, die Menschen hier, die Pilger und Herzog Gottfried und Graf Raimond und selbstverständlich Bischof Adhémar, sie sind fromm vom Herzen, aber der Abt
Weitere Kostenlose Bücher