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Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maren Bohm
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Tanzsaal, sondern im Gebirge – und es regnete immer noch, hatte wahrscheinlich die ganze Nacht geregnet. Mit steifen Beinen erhob sie sich, massierte den schmerzenden Nacken und Rücken und fühlte über ihren Bauch, horchte in sich hinein, ob immer noch dieses unbestimmte Gefühl da war, dass dort etwas festsaß. Nebenan wickelten sich Kinder, Frauen und Männer aus ihren Pilgermänteln, erhoben sich schimpfend, fluchend oder einfach stumm. Hunderte waren es, die wie Alice für die Nacht unter dem Felsen Schutz gesucht hatten vor dem immer währenden Regen. Aus ihrem fest zugeschnürten Lederbeutel, den Alice noch zusätzlich mit einer Ziegenhaut umwickelt hatte, nahm sie einen Kanten Brot heraus, er war trotzdem feucht und dazu noch schimmelig geworden. Alice verging der Hunger, den sie sowieso nicht hatte, ihr war schlecht – seit Tagen schon, jeden Morgen. Vor Kälte bibbernd, umscharten sie zur Morgenmesse den Priester, der die heilige Handlung so kurz wie möglich zelebrierte, denn wie alle hatte er nur ein Ziel, natürlich Jerusalem, aber noch viel dringlicher war es ihm, dem Regen zu entkommen, der ihnen nachsetzte, der ihnen vorauseilte, die Wege aufweichte, sodass sie glitschig waren und der Fuß kaum Halt fand, irgendjemand ausglitt und schreiend in die Tiefe stürzte. Selbst die Ritter gingen zu Fuß, zu reiten getraute sich niemand mehr bei diesen schlammigen Wegen. Missmutig betrachtete Alice die Maulesel, die aneinandergebunden in einiger Entfernung vor ihr hergetrieben wurden. Wenn nur ein Tier ausrutschte, riss es alle anderen die Schlucht hinunter mit in den Tod. Alice schnürte die Riemen ihres Bündels fester, die der Regen immer mehr in die Länge zog. Gott, war ihr kalt, trotz des Pilgermantels. Noch weiter vorne im Zug, in einer weiten Wegbiegung, erblickte Alice die Sänfte Godvere di Tosnis. Die hochadelige Frau wurde schon seit Caeserea in Kappadokien getragen, aber nicht aufgrund ihrer hochherrschaftlichen Abstammung, sondern weil sie selbst nicht mehr gehen konnte. Sie hustete, sie spuckte Blut. Auch wenn Alice wegen des Regens und der Entfernung nichts hörte, so wusste sie doch, Godvere keuchte und hustete. Wenn sie aber einmal nicht geschüttelt wurde von ihren Anfällen, dann verdunkelte sich ihr Blick und sie war weit, weit fort. Schon bei den Toten, vielleicht noch bei den Lebenden, bei ihrem Ehemann Balduin, der ihr so wenig Liebe gezeigt hatte. Auch wenn, so überlegte Alice, er seine Frau gewiss nicht vermissen würde, so musste ihm ihr Tod äußerst unangenehm sein, verlor er doch damit das Recht auf ihre fast unermesslichen Besitzungen in Frankreich und England. Wann würde, so fragte sich Alice vor sich hintrottend und dabei äußerst aufmerksam Fuß vor Fuß setzend, wann also würde Herzog Gottfried endlich seinen Bruder vom bevorstehenden Tod seiner Frau benachrichtigen und einen Boten nach Kilikien schicken, der schneller sein könnte als die Masse von Pilgern, die über den schmalen Gebirgspfad keuchte.
    Eigentlich müsste sie, Alice, zu Godvere gehen als ihre Gesellschafterin, vielleicht sogar ein wenig Freundin, und sie zu trösten versuchen. Aber Alice wollte allein sein, allein sein unter diesen Tausenden von Pilgern, die sich nun verstummt ihren Weg immer höher ins Gebirge bahnten. Nur nicht herabblicken in die tödliche Tiefe.
    Allein wollte Alice sein mit ihren Gedanken, mit ihrer bangen Frage, ob sie nun schwanger war oder nicht. Schon seit Tagen wusste Alice nicht, was sie empfinden, was sie denken sollte. Unterbrochen von seltenen unerwarteten Glücksgefühlen, graute ihr vor einer Schwangerschaft. Wie erleichtert war sie bisher jedes Mal, seitdem sie mit Bernhard zusammen war, wenn es ihr wieder nach Art der Frauen ging, obwohl die Blutung ebenfalls widerwärtig war. Aber zu beobachten, wie die Schwangeren sich dahinschleppten, wie sie in der Salzwüste verreckt waren, wie sie jetzt am Bergesrand sich in eine Nische kauerten, geschüttelt, gepeinigt von den Wehen, und alle wortlos an ihnen vorbeitrampelten, wenn sie mitbekam, wie viele von ihnen starben, wie das Neugeborene schon tot war oder nur wenige Stunden überlebte, das alles machte Alice Angst. Sie hatte Angst vor der Schwangerschaft, vor der Geburt, sie hätte sich ja sogar in Passau davor gefürchtet, obwohl sie dort doch immerhin ein Bett gehabt hätte und heißes Wasser und saubere Windeln.
    Aber hier auf dem Kreuzzug. Wie lange würde er noch dauern? Wann endlich hätten sie Jerusalem

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