Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
nicht. Jedoch ihre Augen, ihre Stimme, ihre Aufmerksamkeiten, ja ihre Zärtlichkeit sprachen ihre eigene Sprache. Herzog Gottfried, der nun düster in Adhémars Zelt saß, würde wohl seine Einwilligung geben, so hoffte Martin.
»Seit wann setzt Ihr Euch für ein einzelnes Leben ein? Das wäre für einen Normannen ein ganz neuer Zug«, fragte Graf Raimond mit sarkastischem Unterton.
»Seitdem Jerusalem unser Ziel ist und nicht Antiochia. Selbst wenn wir durch einen Sturmangriff Antiochia erobern sollten, was fraglich ist, denn die türkische Garnison unter Yaghi-Siyan ist stark, gäbe es so viele Tote und Krüppel, dass wir Jerusalem nicht mehr einnehmen könnten.«
»Wir haben schon sehr viele Männer, die zum Krüppel geschlagen wurden, in Nikäa zurücklassen müssen«, gab ebenfalls Bischof Adhémar zu Bedenken.
»Stellen wir uns den Sturmangriff einmal vor«, sagte Bohemund in bewusst nüchternem Ton. »Ohne Risiko, ohne Gefahr für ihr eigenes Leben könnten die Türken uns von ihrer Befestigungsmauer, von ihren Türmen abschießen. Selbst die Ritter in ihren Rüstungen fänden gegen ihr siedendes Pech keine Rettung. Eine Generation von Rittern würde morgen ausgelöscht. Jeder Ritter, der auf seine Ehre hält, ist mit auf dem Kreuzzug. Wie dieser junge Mann dort eben auch.«
»Der ist kein Ritter«, entgegnete Graf Raimond mürrisch.
»Beinahe wie einer. Schließlich hat er Euch«, Bohemund wandte sich an Herzog Gottfried, »das Leben im Kampf mit dem Bären gerettet.« Gottfried sah nach dieser Bemerkung noch verdrießlicher aus als vorher, was Martin beunruhigte.
»Fürsten, darum geht es im Moment nicht«, versuchte Bischof Adhémar, die gereizte Atmosphäre zu mildern.
»Tatikios, könntet Ihr uns Genaueres über Antiochia berichten, damit wir zu einer vernünftigen Entscheidung kommen?« Die Heerführer blickten auf den Mann, dessen fehlende Nase immer noch bisweilen irritierend wirkte.
»Antiochia war die drittgrößte Stadt des Römischen Reiches und war bis vor zwölf Jahren eine der wichtigsten Handelsplätze Byzanz’. Sie gilt als uneinnehmbar. Auch Suleiman ibn Kutulmisch hat die Stadt nur durch Verrat erobern können. Wie Ihr festgestellt habt, ist Antiochia von gewaltigen Befestigungsmauern umschlossen, die vor nicht langer Zeit von uns Byzantinern instand gesetzt wurden. Die Wälle sind mit Wachtürmen besetzt, und zwar in solchen Abständen, dass jedweder Fußbreit der Mauern in Reichweite der Bogenschützen liegt. Wegen der dicht bewaldeten und felsigen Umgebung ist es unmöglich, Antiochia von allen Seiten anzugreifen, selbst wenn wir genügend Männer hätten. Die sumpfigen Niederungen längs des Flusses verhindern ein schnelles Anstürmen ebenso wie die Gebirgshänge im Osten und Westen. Im Süden befindet sich eine tiefe, felsige Schlucht, durch die reißend ein Gebirgsstrom ins Tal fällt. Die Stadt wird beherrscht durch die Zitadelle, die sich weit oberhalb der Stadt befindet. Innerhalb der Ringmauer ist reichlich Wasser vorhanden. Die Kampfkraft der Garnison ist nicht zu unterschätzen. Im Gegenteil, es handelt sich um eine Eliteeinheit.
Die starke Befestigung spricht gegen einen Sturmangriff. Andererseits: Es ist, wie gesagt, unmöglich, eine vollständige Blockade zu errichten. Yaghi-Siyan wird es möglich sein, mit den anderen Sultanen, insbesondere mit dem schrecklichen Kerbogha, Verbindung aufzunehmen und ihn um Hilfe zu bitten.«
»Eben, genau diese Chance haben wir auch. Wenn Kaiser Alexios uns seine fantastischen Belagerungsmaschinen schickt und die christlichen Seeräuber uns Männer aus ihrer Flotte abgeben und uns mit Nachschub versorgen, so ist es uns möglich, Antiochia ohne große Verluste zu erobern.«
»Oder nie«, Raimond blickte Bohemund hasserfüllt an. Denn ihm war klar, dass Herzog Gottfried, der um sein Leben besorgte Stephan de Blois und der eitle Feigling Hugo de Vermandois sich von den Befestigungswerken einschüchtern ließen.
»Was wird nun?«, fragte Bischof Adhémar. »Wer von euch Fürsten entscheidet sich für einen sofortigen Angriff?«
Graf Raimond ergriff das Wort. »Nur jetzt ist uns ein Erfolg beschieden. Yaghi-Siyan wird die Nerven verlieren und geringen Widerstand leisten. Wir haben Nachrichten von Boten, dass er sich nicht gewappnet fühlt. Ein Aufschub wird sein Selbstvertrauen wieder herstellen.«
Schweigend blickten die Heerführer zu Boden.
»Also, wie entscheiden wir uns?«, wiederholte Bischof Adhémar.
»Ich fürchte, es ist
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