Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
entschieden«, sagte Graf Raimond. »Ihr werdet es bereuen. Sofern Alexios nicht seine Belagerungsmaschinen schickt, und wie sollten die uns in nächster Zeit erreichen, wir schreiben schon den 21. Oktober, so ist vor dem nächsten Sommer mit Alexios’ Hilfe nicht zu rechnen. Und unterschätzt den Hunger und die Kälte nicht!«
»Immerhin haben wir einen Geleitzug von Rindern, Schafen und Getreide, der für die Garnison in Antiochia bestimmt war, beim Kampf um die Eiserne Brücke in die Hände bekommen«, erwiderte Bohemund.
»Das reicht nicht mal bis Weihnachten«, sagte Graf Raimond bitter. »Täuscht Euch nicht.«
»Nun, wer stimmt für einen Überraschungsangriff? Wir müssen uns jetzt entscheiden, Fürsten.« Der Legat des Papstes, Bischof Adhémar, blickte in die Runde.
»Wie ich sehe, nur Ihr, Graf Raimond.«
Ein bedrücktes Schweigen lag im Raum. Die Luft war stickig, jeder wollte hier weg, hinaus ins Freie.
Die Heerführer erhoben sich. Martin beeilte sich, ihnen ihre Kettenhemden und Helme zu reichen. Stephan de Blois witzelte: »Ich habe meiner Frau Adele geschrieben: In fünf Wochen sind wir in Jerusalem. Es sei denn, wir werden vor Antiochia aufgehalten.«
Bohemund schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. Dann wandte er sich an Martin. »Deinem Gesicht nach zu urteilen, bist du mit der Entscheidung sehr einverstanden.«
Martin mochte darauf nicht antworten.
»Wie alt bist du?«
»Im nächsten Monat werde ich 17.«
»Martinstag. Natürlich. Der Sohn des fremden Fürsten. Du willst, so Gott will, noch ein bisschen leben.«
»Ich bin ein Soldat Jesu Christi«, antwortete Martin würdevoll, indem er sich gerade aufrichtete. »Ich bin bereit, jederzeit für unseren Herrn zu sterben.«
»Das trifft zu, bei dem schweren Kampf um die Eiserne Brücke hat Martin tapfer und furchtlos gekämpft«, bestätigte Bischof Adhémar von le Puy. Martin blickte den Bischof dankbar an, der mit einem Nicken den Mut Martins bekräftigte.
»Unser junger Freund entwickelt sich zum Ritter«, fügte er mit einer beschützenden Geste hinzu.
Bohemund interessierte das alles nicht. Nur mit Selbstbeherrschung unterdrückte er ein triumphierendes Lächeln, als er den anderen Heerführern knapp zunickte, während er als Erster das Zelt verließ. In gedrückter Stimmung folgten Herzog Gottfried, Hugo von Vermandois, Robert von Flandern und Robert von der Normandie, keineswegs sicher, richtig entschieden zu haben. Stephan de Blois dachte beklommen an den Brief an seine Frau Adele, den zu schreiben er wohl nicht umhin kam. Sie, die Tochter Wilhelms des Eroberers, hätte sicher für einen Sturmangriff gestimmt. Er seufzte innerlich ob der heroischen Wertvorstellungen seiner Gattin.
Im Hinausgehen wandte sich Graf Raimond an Bischof Adhémar:
»Ich fürchte, dass Bohemund ganz andere Ziele verfolgt, indem er sich meinem Plan widersetzt. Er will Antiochia auf eigene Faust mit List erobern und Herr über die Stadt werden, dieser normannische Emporkömmling. Hoffentlich werden wir durch eine lange, erfolglose Belagerung nicht alle an seinem Ehrgeiz krepieren.«
Sorgenvoll und ohne weiter auf Martin zu achten, kniete der Bischof vor dem Kreuz nieder.
Martin ließ die Mitschrift und den Federkiel auf dem Pult liegen und verließ das Zelt.
Draußen blieb er stehen.
Regen wie in Passau, ging es ihm durch den Sinn.
Feiner, durchdringender Regen blieb an seinen Wimpern haften, setzte sich in seinem welligen braunen Haar fest, legte sich auf seinen weiten Umhang.
Der Himmel war endlos grau, der Regen so nass und kalt wie in der fernen Heimat. Martin wunderte sich über diesen Gedanken. An sein Zuhause erinnerte er sich sonst nie.
Martin schüttelte das Nachsinnen ab.
Sein erster Weg nach dieser Beratung der Fürsten führte zu Rab. Wie immer krampfte sich etwas in ihm zusammen, wenn er zu den Flusswiesen ging, wo die Pferde weideten. Wie immer spürte er die Sorge, Rab könne fort sein oder noch Schlimmeres. Schließlich waren die meisten Pferde, mit denen sie zu Beginn der Pilgerfahrt aufgebrochen waren, tot, in den Schlachten von Pfeilen getroffen, unter glühender Sonne verdurstet, die Abhänge des Anti-Taurus hinuntergestürzt. Rab aber lebte noch, freudig wiehernd kam er Martin entgegen.
Zurück zum Lager, wo die Frauen dabei waren, trotz des Regens Feuer zu machen. Martin verspürte den heftigen Wunsch, Theresa zu sehen, die nach wie vor zusammen mit Alice in Herzog Gottfrieds Lager lebte. Doch auf dem Weg zu ihr blieb
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