Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Kurzem, hier vor Maarat an-Numan, habe ich die Leichen von Kindern und Frauen auf einer Lichtung entdeckt, die, auf der Suche nach Nahrungsmitteln, überfallen, niedergemetzelt und ermordet worden waren.«
»Seid Ihr auch in die Stadt eingedrungen?«
»Ob ich auch in Maarat an-Numan Wehrlose getötet habe, fragt Ihr. Nein, habe ich nicht, aber ich war kurz davor«, antwortete Martin. »Die Einwohner hatten sich verbarrikadiert. Mit Gewalt sind wir in ihre Häuser eingedrungen. Ich sah eine Frau, ebenso jung wie Theresa, ich habe sie gepackt und wollte sie mit dem Schwert töten.«
»Und?«, Anselm hob die Augenbrauen.
»Ich habe die Frau losgelassen. Mir war, als hörte ich die Stimme meines Vaters:
›Töte keine Frau.‹«
»Der fremde Fürst? Ihr kennt ihn? Ihr wisst, wer Euer Vater ist?«
Martin nickte. »Er hat mir das Schwert mit der Bedingung überbringen lassen, dass ich es niemals gegen Wehrlose gebrauche.«
»Ich überwinde mich und bezwinge meine Neugierde. Eine bemerkenswerte Auflage für einen Fürsten. Er muss schon ein höchst christlicher Herr sein.«
Anselm bemerkte, wie Martin wütend wurde.
»Nein, es geht mich wirklich nichts an.«
Nachdenklich fügte er hinzu: »Unser Herr Jesus Christus verbietet uns noch mehr als Euer Vater: Wir dürfen überhaupt nicht töten.«
»Und warum seid Ihr dann hier? Warum habt Ihr das Schwert genommen, wenn Ihr so denkt?«, fragte Martin in bösem Ton.
»Weil ich diese bewaffnete Pilgerfahrt dennoch für richtig halte. Die Türken haben uns in 20 Jahren all die Städte genommen, in denen der Apostel Paulus missioniert hat.
1.000 Jahre Christentum wollen sie auslöschen. Knaben und Jünglinge werden gezwungen, sich bei den Taufbecken beschneiden zu lassen, und wenn sie sich weigern, werden sie getötet.
Junge Mädchen sind in Kirchen vergewaltigt worden, vor den Augen ihrer Mütter.
Der Name des Dreieinigen Gottes wird entheiligt. Unsere Kirchen haben sie entweiht und geschändet, unseren Heiligen werden die Augen herausgeschossen und die Augenhöhlen mit Kot gefüllt.
Aber selbst wenn wir von Gräueltaten einmal absehen: Sie zwingen den Christen ihren Glauben auf, nicht nur durch Gewalt. Über die Hälfte der uns bekannten Erde ist von den Moslems erobert worden. Ein so überaus großes Gebiet von Persien über Nordafrika bis nach Spanien und jetzt auch bis Konstantinopel, das wird nicht durch Mord und Totschlag und Plünderung unterworfen und beherrscht, sondern durch die Erschwernisse des täglichen Lebens. Mache es deinem Enkel, deinem Urenkel begreiflich, warum sie noch Christen sein sollen, wenn sie nur Nachteile davon haben. Der Sohn wird es noch verstehen und vielleicht stolz auf sein Bekenntnis zu Jesus Christus sein, der Urenkel wird nicht mehr einsehen, warum er um seines Glaubens willen zu hohe Steuern bezahlen muss, kein hohes Amt bekleiden, nicht auf einem Pferd reiten, kein Schwert tragen darf.
Um meiner Liebe zu Jesu Christi willen, deshalb bin ich auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem.«
Anselm holte tief Luft und Martin hatte den Eindruck, dass sich Anselm nicht weiter äußern wollte. Doch dann sagte er leise:
»Aber, das weiß ich jetzt, Jesus wäre mit mir nicht einverstanden. Er hat den Krieg verboten. Jesus Christus hat nicht zwischen gerechtem und ungerechtem, zwischen gutem und bösem Krieg unterschieden. Er hat nicht gesagt, ihr dürft töten unter der und der Bedingung. Das hat erst Augustin verkündet. Ach – was reden wir da?« Anselm lachte. Er wies nach vorn und sagte: »Da vorne liegt Kafartab. Bin gespannt, ob Graf Raimond sein weißes Büßerkleid anbehält, wenn er mit dem Emir von Schaizar die Bedingungen für unseren Durchzug durch des Emirs Land aushandelt.«
Anselm von Ribemont schleuderte seine Lederhandschuhe auf den Tisch, trat ans Fensterloch und sah mit grimmigem Blick über die Festungswälle der Burg Hosn el-Akrad hinweg zu den Bergen des Libanon. Es war so, als würden sämtliche seiner schwarzen Locken aufrecht stehen vor Empörung.
Martin setzte sich auf und rieb sich die Augen. Er hatte Anselm seit Mariä Lichtmess, das mit großer Feierlichkeit vor zwei Tagen auf der Burg zelebriert worden war, nicht mehr gesehen. Martin hatte die Zeit mit Nichtstun und Grübeln verbracht.
»Was ist denn los?«, fragte er mehr erstaunt als besorgt.
»Wir werden die Festung Akkâr angreifen. Graf Raimond von Toulouse hat das selbstherrlich beschlossen.«
»Und wieso?«, fragte Martin. »Es könnte doch gar
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