Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
fallen.
Das, was er sah, war zu viel. Alles auf der Welt – aber nicht das.
»Wo sind Eure Wunden?«, fragte er bebend. »Ich habe sie Euch selber zugefügt.«
Nichts, aber auch nichts in dem Gesicht des Abtes deutete darauf hin, dass seine Wange vom Schwert zerteilt worden war, dass der Schnitt den Knochen durchtrennt haben musste. Nicht einmal eine Narbe hatte er davongetragen. Der Mann schaute verstohlen auf die Handgelenke. Der Abt hielt ein Kreuz in seiner Rechten, sodass der Ärmel seiner schwarzen groben Kutte etwas hochgerutscht war. Auch hier nichts. Eine makellose Haut. Nur ein kräftiges Handgelenk. Der Verbrecher hatte die Faust kennengelernt.
Der Abt setzte sich zu dem Verurteilten auf das kalte Steinbett. Der andere wich scheu und ängstlich zurück.
»Gott hat – ein Wunder an Euch gewirkt«, stammelte der Verbrecher. Der Abt war ihm so unheimlich wie ein Dämon, ein Untoter. Der Mann schluckte, Angstschweiß brach wie Blut aus ihm heraus.
»Gottes Ratschluss ist unergründlich«, nahm der Abt das Staunen und Entsetzen des Verbrechers auf. »Jesus Christus, der Auferstandene, trug die Wunden mit sich, damit der ungläubige Thomas seine Hand hineinlegen konnte und sehend wurde. Warum, wozu ein Wunder an mir geschah, das wird mir Gott zeigen, so hoffe ich.«
Um Himmels willen, wenn er nun doch ein Heiliger ist? Was ist, wenn er nicht mit dem Teufel im Bund steht, wie der Mittelsmann behauptet hatte. Doch der war tot. Vergiftet noch in der Nacht des Mordanschlages. Von wem? Wer war der Auftraggeber?, hämmerte es in seinem Kopf.
Der Verbrecher sackte in sich zusammen. Den Rücken zum Buckel gebeugt, ließ er den Kopf hängen. Er war unrettbar verloren.
»Du bist ein mutiger Mann, Robert«, wandte sich der Abt an den Verurteilten. Der horchte auf.
»Deine Kumpane haben sich im Suff verraten, du aber hast dich selber ohne jeden Zwang gestellt.«
»Was ist mit ihnen?«
»Sie werden heute mit dir hingerichtet.«
»Und wie? Durch das Schwert?«
»Sie werden gehenkt.«
Robert setzte sich aufrechter und sah auf seine Hände.
»Gehenkt«, sagte er nachdenklich. »Damit sie am Galgen verfaulen und nicht als Wiederkehrer die Menschen plagen können. Wotan – der Teufel – wird ihre Seelen holen, sie sind sein Eigen. Ich will auch nicht als Werwolf wiederkommen und die Menschen heimsuchen.«
»Du hättest ebenfalls gehenkt werden können. Warum hast du den grausamen, schmerzhaften Tod auf dem Rad gewünscht?«
»Ich hoffte, ich würde dadurch nicht in die Hölle kommen. Nützt alles nichts«, antwortete Robert und schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Hoffnung mehr. Wisst Ihr, was ich heute Nacht fest vorhatte? Ich wollte Euch, ich meine, den Geistlichen, der in mein Verlies käme, umbringen, erdrosseln wollte ich ihn mit diesen eisernen Ketten.«
Damit hob er seine Hände zu Fäusten und starrte wild und gierig auf das Mordinstrument.
»Ich hoffte, er hätte einen Schlüssel dabei, um mir für das Gebet die Hände loszubinden. Dann aber hätte ich Eure Kutte angezogen und wäre geflohen. Ein Mord mehr oder weniger ändert auch nichts. Gott will Rache und Strafe. Ich komme so und so in die Hölle. Ganz ohne Fegefeuer«, lachte er bitter.
»Du hast mich aber nicht getötet«, wandte der Abt ein.
»Morden und morden wollen ist dasselbe«, so lehren es die Priester.«
»Nicht ganz. Denn zwischen den Wunsch, den Entschluss zum Verbrechen, tritt oftmals das Gute, die Gnade Gottes. Der Heilige Geist kann einen Sünder von seinen frevelhaften, bösen Vorstellungen befreien. Und er hat dich befreit.«
»Meint Ihr?« Robert nahm sein Gesicht in seine gefesselten Hände und schluchzte, weinte, weinte bitterlich.
»Glaubst du, dass Jesus Christus für unsere Sünden gestorben ist?«
Der Verurteilte nickte, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und zog den Schnodder hoch.
»Dann wollen wir gemeinsam das Gebet unseres Herrn sprechen«, forderte ihn der Abt auf, schloss seine Fesseln auf und kniete nieder. Robert starrte ihn mit offenem Mund an, ließ sich dann auch auf die Knie fallen. Robert war, als hätte er noch nie in seinem Leben gebetet, als hätte er noch nie die Worte gesprochen:
»Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.« Nachdem sie von Gott erbeten hatten: ›Erlöse uns von dem Bösen‹, wurde es ganz still in dem Raum. Beide Männer warteten kniend auf die Knechte, die Robert zum Hinrichtungsplatz abführen sollten. Ihre lauten Stimmen, ihr
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