Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
auf dem Gottesacker vor der Kirche St. Severin begraben. Neben meiner Frau«, fügte er hinzu und sah seinem Bruder scharf ins Gesicht. »Das weißt du vielleicht nicht.«
»Er sei, wer er sei. Ich bin nicht gekommen, um mich mit dir über den Sohn einer Magd zu unterhalten.«
Der Vater seufzte. Dann schwiegen sie einander an. Der Vater am Tisch sitzend, einen Humpen Wein vor sich, der Abt im Raum stehend.
»Ich habe mir oben im Saal und auf der Treppe alles noch einmal genau angesehen.«
Gesehen?, dachte Alice, aber er hatte doch kein Licht dabei.
»Du hältst mich weiterhin für schuldig?«, hörte sie ihren Vater sagen.
Der Abt schwieg darauf.
»Ja, ich weiß es«, der Vater senkte den Kopf und seine Stimme klang wehleidig.
»Du hältst mich noch immer für schuldig.«
»Karl, geh nach Jerusalem«, antwortete der andere. »Vielleicht kannst du dich da von deiner Sünde befreien. Ich verstehe sowieso nicht, wieso du es überhaupt noch einen Tag länger in diesem Haus ausgehalten hast.«
»Und ich verstehe nicht, warum du dich davongemacht hast. Einfach so. Du warst nun der Letzte, von dem ich erwartet hätte, dass er ins Kloster eintritt. Immer dabei, wenn es um Händeleien und Kämpfe und Jagden ging, so jung du auch noch warst. Bist am frühen Morgen, sobald das Paulustor überhaupt geöffnet wurde, ausgeritten, bist noch im Spätherbst, sogar wenn der erste Schnee fiel, in der Donau schwimmen gegangen und sperrst dich nicht lange danach für dein weiteres Leben in einem Kloster ein.«
»Mein Leben als Mönch geht dich nichts an.«
»Das mag schon sein«, sagte der Vater leise. »Aber hast du mir nun diese Kreuzfahrer geschickt, damit sie mich nach Jerusalem mitnehmen?«
»Geschickt habe ich sie nicht. Aber ich habe sie auf dich aufmerksam gemacht.«
Der Vater stieß einen Fluch aus, zu dem der Abt sich nicht äußerte. Er zeigte keinerlei Empörung, nur abwartendes Interesse.
»Keine Sorge, ich habe mich schon entschieden. Ich gehe. Ich werde morgen die Anordnungen für eine baldige Abreise treffen.«
»Sehr weise«, entgegnete der Abt.
»Seit Jahren«, sagte der Vater mehr zu sich als zu dem anderen, »seit so vielen Jahren machst du mir diesen Vorwurf, klagst du mich an. Und ich hatte keine Möglichkeit der Verteidigung. Kein einziges Mal bist du wieder hierhergekommen. Und mich hast du mit meiner Schuld allein gelassen. Ich weiß bis auf den heutigen Tag nicht, ob ich es wirklich getan habe. Ich kann mich nicht erinnern und zermartere mir mein Gehirn. Aber ich weiß es wirklich nicht.«
»Du warst betrunken.«
»Aber warum sollte ich es getan haben?«
»Nun, ein Motiv würde mir schon einfallen. Denk einmal nach.«
»Nein, so war es nicht, nicht so, wie du denkst.«
Der Abt schwieg und sah seinen Bruder abschätzig, geradezu finster an.
»Du glaubst mir nicht. Weißt du, was es bedeutet, sich ständig schuldig zu fühlen und zu wissen, dass du mir nicht verzeihst?«
»Ich bin nicht dein Beichtvater.«
»Man sagt, du führest ein strenges Regiment in deinem Kloster.«
»Nicht zu streng. Eher gerecht. Um Gerechtigkeit bemüht. Ich versuche, jeden Mönch so einzusetzen, wie es seinen Fähigkeiten entspricht, sodass er zufrieden mit sich und seiner Arbeit ist.«
»Nun ja, ich meinte etwas anderes.«
»Du meinst: keine Saufgelage, keine Wollust, Keuschheit wird ernst genommen. Du irrst. So ist es auch wieder nicht. Du weißt es doch selbst, dass gerade um Passau viele Priester Widerstand gegen das von Papst Gregor VII. erlassene Eheverbot geleistet haben, es zu Tumulten kam und Bischof Altmann, als er es durchsetzen wollte, von den Klerikern am Stephanustage im Dom tätlich angegriffen wurde.
Es ist nicht einfach, etwas abzuschaffen, was für Priester 1.000 Jahre Brauch war, nämlich, eine Ehefrau zu haben, zumindest aber bisweilen bei einer Frau zu liegen. So vermute ich denn auch, es kommt öfter einmal vor, dass einer der Mönche eine sommerliche Begegnung mit einer Magd, einer Bauerstochter hat. Natürlich stellen sich auch manches Mal Folgen ein. Nur ist schwer festzustellen, ob es wirklich einer der Mönche war, der da gekindelt hat. Denn es ist schließlich Brauch, dass die Frau, die ihr Kind nicht versorgen kann oder will, es zum Kloster bringt, die Glocke läutet und darauf wartet, dass ein Mönch das Rad dreht und das Kind an sich nimmt. Meist erscheint die Frau selbst unmittelbar darauf und erklärt ziemlich verlegen, dass sie sich gerne als Amme für das Neugeborene zur
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