Die Pilgerin von Passau: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
beruhigte ihn allerdings, dass er seinen Trumpf noch nicht preisgegeben hatte.
»Bei den Benediktinern ist es Brauch, die Ordensregel schreibt es vor, dass immer ein älterer Bruder neben einem jüngeren schläft. In der Nacht brennt im Dormitorium nur eine Öllampe. Alle Mönche müssen schweigen. Und obwohl es nicht ganz dunkel in dem Schlafraum war und man in der Stille jedes Geräusch hörte, haben die beiden Mönche, die neben Johannes schliefen, also zwei ältere Brüder, versucht, ihn des Nachts zu berühren. Der Teufel hat ihm das Gesicht eines Engels gegeben und die unkeuschen Gedanken, die Begierde und die böse Lust entbrannten in den meisten Mönchen des Klosters. Philipp hat mir erzählt, aber das sage ich nur dir, damit du weißt, wie gefährlich sein Einfluss war, dass er ihn geliebt habe und einmal versucht hat, Johannes im Badehaus – du weißt schon, als der nackt in den Badezuber steigen wollte – also da Johannes zu begegnen. Nun, die Vernunft des Herrn ist noch im letzten Augenblick über Philipp gekommen.
Jedenfalls, er hat das Ganze dem Abt gebeichtet, der nun seinerseits schon längst bereut hatte, diesen Nichtadeligen im Kloster aufgenommen zu haben.
Er musste ihn loswerden. Nun hätte er ihn aus dem Kloster rauswerfen können wegen des Vergehens der Lust und Begierde, nur konnte er Johannes selbst nichts nachweisen. Selbst Philipp standen die Folgen seiner begehrlichen Gefühle noch im Gesicht geschrieben in Form einer blutenden Nase und eines blauen Auges.
Um sich seiner zu entledigen, schickte der Konvent Johannes zu den Leprakranken. Man nennt sie auch die ›lebendigen Toten‹.
Eigentlich ist es eine besondere Gnade, ins Leprosorium geschickt zu werden und dort die Leprakranken versorgen zu dürfen. Der selbst- und furchtlose Umgang mit diesen Kranken, deren Glieder bei lebendigem Leibe verfaulen, war bis dahin nur besonders frommen Mönchen vorbehalten, die schon älter waren und den Wunsch, auf diese sich selbst aufopfernde Weise Gott zu dienen, über einen längeren Zeitraum geäußert hatten. Denn man erwirbt eine besondere Heiligkeit durch das Opfer für diese mit dem Stigma der Sünde geplagten Menschen. Irgendwann steckt sich jeder an. So auch der alte Mönch, der Gott bisher bei den Leprakranken gedient hatte. Johannes aber war sehr jung. Ohne zu widersprechen und zu klagen, verließ er das Kloster und ging zum Leprosorium und blieb dort über zehn Jahre. Nur an den ganz hohen Feiertagen kehrte er kurz zum Kloster zurück – und dann hielten sich alle von ihm fern aus Sorge vor einer Ansteckung.
Aber Johannes steckte sich nicht an. Stattdessen rieb er die Kranken mit einer Salbe ein, die aus Schwalbenkot, Klettenkraut, Storchen- und Geierfett sowie Schwefel bestand.«
Bernhard blieb stehen: »Schwefel, Alice! Schwefel!«
In ruhigem Ton fuhr er fort: »Obwohl er die Leprakranken mit den Händen fütterte, ihre verfaulten Mundhöhlen und ihren Speichel berührte, obwohl er ihre offenen und blutenden und stinkenden Wunden wusch, blieb seine Haut makellos. Und allmählich wandelte sich sein Ruf. Hatte man von dem Fluch gehört, hatte man ihn bezichtigt, die heilige ständische Ordnung gebrochen zu haben und die Menschen zur Raserei, zum Liebeswahn zu treiben, so vertrat man zunehmend die Ansicht, Gott sei mit ihm. Nun, das wäre auch noch gegangen. Aber der Teufel trieb ein schlimmeres Werk.
Eines Tages träumte einem adeligen Leprakranken, er werde gesund, sofern Bruder Johannes sein Gesicht in das mit Blut und Eiter vermischte Wasser, mit dem er zuvor die Füße des Kranken gewaschen hätte, eintauchen und es noch dazu trinken würde. Johannes wurde vom Abt gefragt, ob er zu einer Demonstration in der Kirche vor allen Mönchen bereit sei. Johannes willigte ein, und während er noch trank, verschwand der Ausschlag und die verfaulenden Gliedmaßen und das Gesicht des Barons wurden rein. Und niemand bedachte, dass hier nicht Gott, sondern der Teufel am Werk war.
Als nun der Abt einige Zeit später Johannes zum Priester weihte und ihn in das bedeutendste Kloster der Christenheit, nach Cluny, schickte, um das eigene Kloster nach diesem Vorbild umzuformen, da war klar, wer einst sein Nachfolger werden sollte.
Und als der alte Abt gestorben war, wählten die Mönche fast ausnahmslos und gegen den heftigen Widerstand meines Cousins Philipp, der nun mittlerweile Prior geworden war, Johannes zum neuen Abt. Er gilt als Heiliger – schon jetzt zu Lebzeiten.
Und alle haben
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