Die Pilgerin
Aufmerksamkeit dem Mönch zu. »Was sind das für Leute?«
»Zwei junge Männer aus Tremmlingen. Sie stammen aus Kaufmannsfamilien, wie sie sagen. Zwei Knechte begleiten sie.«
»Nur Männer? Haben sie denn keine Magd oder eine andere weibliche Person bei sich?«
Als der Mönch den Kopf schüttelte, runzelte Vater Thomas erneutdie Stirn. »Das ist seltsam. Wenn diese Frau wirklich von Sinnen ist, braucht sie die Hilfe eines anderen Weibes und nicht die eines derben Knechts.«
Sein Ton ließ Tilla Hoffnung schöpfen. Vater Thomas stieg jetzt aus dem Wasser und winkte den anderen, mitzukommen. »Die Suppe wird gleich fertig sein. Außerdem will ich mir diese Männer ansehen. Ihre Absichten scheinen mir nicht ehrlich zu sein.« Während er sein Hemd und seine Kutte überstreifte, suchte sein Blick Tilla.
»Du hast unsere Kleidung treulich bewacht. Jetzt kannst auch du baden. Hedwig soll bei dir bleiben. Ihr wird man wohl keine unzüchtigen Gedanken vorwerfen.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und scheuchte Hermann und Robert, die noch ein wenig am Teich bleiben wollten, vor sich her.
Hedwig wartete, bis sie außer Sicht waren, dann stupste sie Tilla an. »Du hast den ehrwürdigen Vater gehört. Also bade, Mädchen!«
Tillas Gesicht glühte blutrot auf. »Aber wie …«, stotterte sie.
»Wie ich es herausgebracht habe, willst du wissen? Das war ganz einfach. Du hast dir alle Mühe gegeben, wie ein junger Mann zu erscheinen, aber einige Bewegungen und deine Mimik waren doch verräterisch. Als ich dir vorgestern Abend einen Apfel zugeworfen habe, hast du unwillkürlich die Beine gespreizt, als wolltest du ihn mit deinem Rock auffangen. Deine Hand war zwar schnell genug, um den Apfel auch fassen zu können, aber ich hatte bereits Verdacht geschöpft. Dann habe ich dich gestern eingehender beobachtet und herausgefunden, dass du noch mehr weibliche Angewohnheiten hast.«
»Hast du dann mit Vater Thomas gesprochen, damit er mir das Kreuz aufhalsen soll?«, fragte sie, während sie sich auszog.
»Wir können weiterplaudern, während du dich wäschst. Oderwillst du damit warten, bis andere Pilger kommen?« Hedwig scheuchte Tilla mit einer schiebenden Geste ins Wasser.
Tilla stieg bis fast zum Hals hinein und rieb sich eilig von oben nach unten ab. Dabei kniff sie die Lippen zusammen, denn ihre Begleiterin schien sie abzuschätzen wie eine Ziege auf dem Markt.
»Eine Schönheit würde ich dich nicht gerade nennen, aber wenn du dich ein wenig zurechtmachst, könntest du als ansehnliches Ding gelten.« Hedwig nickte dabei, als wolle sie Tilla unter die Haube bringen. Dann lachte sie und winkte ihr, wieder aus dem Wasser zu kommen.
»Deine Figur eignet sich aber auch für einen hübschen jungen Burschen, nicht zu groß und nicht zu kräftig. Männer kannst du damit wirklich täuschen. Vater Thomas wollte mir erst gar nicht glauben, und noch vorhin meinte er, dass ich mich geirrt haben müsse, denn eine Frau würde nicht die Kraft aufbringen, das schwere Kreuz den ganzen Tag über zu tragen.«
Es hörte sich sehr zufrieden an. Tilla hingegen war am Boden zerstört. Um nach Santiago zu gelangen, würde sie weit mehr als hundert Tage gehen müssen, und Hedwig hatte sie bereits am ersten Abend entlarvt.
»Was sind das eigentlich für Leute, die nach dir suchen?«, wollte Hedwig jetzt wissen.
Tilla hob hilflos die Hände. »Wahrscheinlich mein Bruder. Er hätte nämlich nach dem Willen unseres Vaters zum Grab des heiligen Apostels pilgern sollen, aber da er immer neue Ausflüchte gebracht hat, bin ich aufgebrochen.«
»Heimlich, wie ich annehme.«
»Ja! Mein Bruder hat mich nach dem Tod unseres Vaters gegen dessen letzten Willen zu einer Ehe mit einem seiner Freunde gezwungen. Mein Mann ist jedoch schon in der Hochzeitsnachtgestorben und seine Verwandten haben mich mit Billigung meines Bruders wie eine Gefangene gehalten.«
»Du Ärmste! Da hast du ja schon einiges erlebt.« Hedwig empfand mit einem Mal Mitleid mit Tilla, obwohl sie in ihr kurz zuvor noch eine Sünderin gesehen hatte, die den Gesetzen Gottes zum Trotz in Männerkleidern auftrat. Sie ging zu ihr hin, knuffte sie leicht und zeigte dann mit dem Kinn auf das Kloster.
»Komm jetzt! Ich will mir die Männer anschauen, die nach dir gefragt haben.«
Tilla hätte sich das lieber erspart, doch gegen den Willen der kleinen, aber kräftig gebauten Frau kam sie nicht an. Daher folgte sie ihr zum Vorhof des Klosters, in dem sich die Pilgerherberge befand. Die
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