Die Plantage: Roman (German Edition)
des Stadtkommandanten für die Ausreise aus South Carolina und ließen ihn zum Anleger passieren.
Die Independence hob und senkte sich sacht in der nächtlichen Drift. Außer der Wache an Deck sah ihn niemand an Bord gehen. In der Kabine legte er den Abendanzug ab. Néné sah schläfrig zu, wie sein Herr das Reisenecessaire zum Tisch brachte und Handspiegel, Kamm und Schere herauslegte.
»Komm her, Néné!«, sagte William, indem er sich setzte und das Band von seinem Zopf löste.
Der Junge kletterte aus der Koje und schlurfte herbei.
»Hier, nimm.« William hielt ihm die Schere entgegen. »Schneid mir die Haare ab!«
»Abschneiden, Sir?« Néné gähnte und rieb sich die Augen.
»Aber ja! Kürze sie alle auf dieselbe Länge, so etwa.« William maß zwischen Daumen und Zeigefinger eine Spanne von anderthalb Inches. »Und gib acht auf die Bewegung des Schiffs, damit du mich nicht schneidest, verstanden?«
»Ja, Sir.« Néné runzelte die Stirn, was ihn auf rührende Weise besorgt aussehen ließ. Er nahm eine Partie von Williams Haar und tat vorsichtig den ersten Schnitt, dann den nächsten. Es war eine langwierige Prozedur. William ließ ihn mit erstaunlicher Geduld gewähren, betrachtete sich ab und zu in dem Handspiegel, schließlich nickte er zufrieden.
»Das hast du gut gemacht, Junge.«
»Aber, Sir, gefällt Ihnen das wirklich?«
William winkte ab. »Das ist nicht wichtig. Als Mann von Stand werde ich in London eine Perücke tragen.«
Um vier Uhr früh wurde die Glocke zum Ablegen geläutet. Die ganze Mannschaft war auf den Beinen. An Deck herrschte Betrieb, Offiziere riefen Befehle, die Maate gaben sie weiter, schickten die Deckwache an die Brassen und die Toppsgasten ins Rigg zu den oberen Rahen, um die Segel zu setzen. Am Gangspill legten sich zehn Männer ins Zeug, der Anker wurde aufgeheißt, die Leinen klargemacht.
William stieg aufs Achterdeck. Kapitän Murdoch grüßte ihn militärisch, er kannte den Rang seines Passagiers und erkundigte sich, ob er mit der Unterbringung zufrieden sei. William lobte den nüchternen Komfort seiner Kabine. Er nahm Kapitän Murdochs Einladung an, mit ihm von der Brücke die Manöver der Independence zu verfolgen, die bereits in die Fahrrinne des Cooper River steuerte. Nachdem sie die Mündung inden Stono River passiert hatten, wandte sich das Schiff backbord, an Fort Moultrie und Sullivans Island vorbei hinaus aufs offene Meer, und nahm Fahrt auf gen Norden. Der Kapitän übergab dem Ersten Offizier das Kommando und zog sich zur Kursbestimmung in seinen Salon zurück. William blieb auf der Brücke, nur in Gesellschaft des schweigsamen Rudergängers.
Im frischen Seewind schlug er den Mantelkragen hoch, rückte den Dreispitz in die Stirn und beobachtete, gegen das Schwanken des Decks auf seinen Stock gestützt, den Horizont. Schwere Wolkenbänke lagen vor der Küste South Carolinas, der Übergang vom Meer zum Himmel war kaum auszumachen. William erinnerte sich an seine erste Überfahrt im Frühjahr 1776, als General Clintons Invasionsheer von New York nach Süden zog. Einem bösen Vorzeichen gleich segelte die Armada in einen Sturm, sodass sie erst Anfang Mai in Cape Fear in North Carolina landen konnten. Zu Land und zur See zogen die Expeditionstruppen gegen Charles Town, doch der entscheidende Angriff auf die Stadt scheiterte am Widerstand des unscheinbaren Fort Sullivan. Die Flotte war zum Rückzug gezwungen, und General Clinton rief seine Truppen zurück in die nördlichen Provinzen. Der Krieg dauerte an, während William bedingungslos loyal König und Vaterland diente, wie er es auf Englands Fahne geschworen hatte.
Jetzt, nach sechs langen Jahren, nachdem der Krieg verloren war, durfte er Amerika verlassen und endlich heimkehren, um zu tun, was ihm beliebte, bis sich sein Schicksal erfüllte.
Als er noch einmal zurückblickte, war die Küste hinter der Dünung verschwunden.
22.
Schon beim Aufwachen bedrückte sie eine dumpfe Last. Der Schlaf brachte ihr keine Erholung, sie schleppte sich durch den Tag, wie gelähmt vom Gefühl der Einsamkeit. Von William verlassen worden zu sein, war mehr, als sie glaubte ertragen zu können. Zunächst hatte sie sich eingeschlossen und ihrem grenzenlosen Kummer überlassen. Irgendwann waren die Tränen versiegt, sie hörte nur noch ihren Herzschlag. Als die Einsamkeit sie zu ersticken drohte, floh sie aus dem Haus, floh vor dem Schmerz der Trauer, vor der Qual der Erinnerungen. Ohne Ziel, ohne Blick für ihre Umgebung,
Weitere Kostenlose Bücher