Die Plantage: Roman (German Edition)
es lächerlich, kleinen Vögeln in unwegsamem Gelände nachzustellen. Man ruinierte sich im Morast die Stiefel und war zu guter Letzt gezwungen, mit nassen Füßen zu dinieren.
Die Menschen seiner Klasse und ihre Vergnügungen langweilten ihn, er war ein Einzelgänger, Geselligkeiten waren ihm zuwider. Dennoch begab er sich von Zeit zu Zeit unter Leute, pflegte sogar die eine oder andere Bekanntschaft. Er tat es, um sich und der Welt den Anschein zu geben, dazuzugehören. Er tat es um der Privilegien willen, die man hierzulande den Mitgliedern der Geldaristokratie zubilligte wie einst den Feudalherren in der Alten Welt. Nur im Schutz dieser Privilegien war es ihm gelungen zu überleben. Auf ihren Schutz war er angewiesen, wenn er tun musste, was sein kranker Geist ihm auferlegte.
Algernon Reed entstammte einer Puritanerfamilie aus Richmond, die es nach drei Generationen im Tabakhandel zu einigem Wohlstand gebracht hatte. Weil seine spät berufenen Eltern sich die Erziehung ihres einzigen Sohnes nicht zumuten wollten, wurde Algernon mit sieben Jahren in die Obhut des streng geführten Holdon-Instituts übergeben. Die Internatsjahre waren hart. Der Schulleiter, Mr. Holdon, hielt nichts von einer Unterbrechung der Lehrzeiten. Mit Ausnahme von zwei freien Tagen am Ende jedes Trimesters gab es für die Schüler keine Ferien, ebenso wenig waren Besuche zu Hause bei der Familie vorgesehen. Algernon sah seine Eltern zweimal im Jahr für ein paar Stunden in Holdons Besucherzimmer. Während Mrs. Holdon Tee reichte, durfte er vom Schulsport berichten und von den sonntäglichen Bibellesungen. Nur am Ende, auf dem Weg zum Tor, wo die Droschke wartete, konnte er mit seinen Eltern einige persönliche Worte wechseln. Es waren befangene Momente, sodass Algernon es nicht über sich brachte, von seinen Kümmernissen zu reden.
Dabei durchlebte er einen Albtraum. Jede Nacht lag er halbtot vor Angst im Dunkeln und betete, es möge einen der anderen Jungen treffen. Doch regelmäßig kam die Reihe auch wieder an ihn, Holdon trat im Schlafsaal an sein Bett, hieß ihn aufstehen und mitkommen in ein Kellerverlies. Algernon musste sich ausziehen und auf eine Bank legen. Holdon nannte eine willkürlich gewählte Zahl und schlug mit einem Stock erbarmungslos auf ihn ein, bis die genannte Zahl an Schlägen erreicht war. Es war schiere Grausamkeit. Gleichgültig gegen Algernons Schreie vollzog Holdon die Züchtigung bis zum letzten Schlag. Der Hausknecht brachte Algernon danach zurück in den Schlafsaal. Am nächsten Morgen las Holdon vor dem Unterricht aus dem Buch Hiob.
Algernon war sechzehn Jahre, als kurz nacheinander beide Eltern starben. Ihr Tod brachte ihm neben der lange ersehnten Freiheit auch die Leitung des Familienunternehmens. Gewohnt, hart zu arbeiten, erwarb er sich die im Handelsgeschäft notwendigen Kenntnisse, um seinen Wirkungskreis über Virginia hinaus zu erweitern. Er handelte mit Reis und Indigo aus Carolina und stieg in den aufblühenden Baumwollhandel ein. Nach wenigen Jahren unterhielt er Handelsniederlassungen von den Häfen Georgias über die Ostküste hinauf bis nach Boston. Mit Anfang zwanzig war er bereits ein gemachter Mann. Viele bemühten sich um den jungen Unternehmer, man stellte ihm manches heiratsfähige Mädchen vor.
Doch Reeds Interesse ging nicht in diese Richtung, Gefühle kannte er nicht. Wenn er sich einer Frau näherte, dann weil er es auf ihre Hingabe abgesehen hatte. Die körperliche Befriedigung erwies sich jedoch als Enttäuschung. Während ihn das Verlangen in immer neue Abenteuer trieb, wurde die Ernüchterung von Mal zu Mal größer. Obwohl er nicht genau wusste, wonach er sich sehnte, spürte er, dass er es durch Liebesgetändel nicht bekommen würde.
Zu der Zeit begannen die Anfälle. Sie glichen einer Art vorübergehenderAbwesenheit, wie wenn er in Trance reglos innehielt. Sie kündigten sich nicht an und dauerten kaum Minuten. Reed wusste nicht, was mit ihm geschah, er empfand dabei nichts, nur Stille, Leere. Anfangs hielt er es für eine körperliche Schwäche und versuchte, mehr auf sich zu achten, aß und schlief regelmäßiger, in der Hoffnung, die seltsamen Absencen würden vorübergehen. Doch sie hörten nicht auf. Da sie aber für ihn keine Beeinträchtigung darstellten, fand er sich damit ab.
Er führte das Leben eines Einzelgängers, was ihn nicht sonderlich betrübte, denn er hatte nie erfahren, was es hieß, Familie zu haben. Er wohnte allein in dem großen Haus am Stadtrand.
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