Die Plantage: Roman (German Edition)
Eingangshalle, an den verblüfften Bürogehilfen vorbei in sein Arbeitszimmer. Dort bliebendie beiden Männer befangen voreinander stehen. Thomas betrachtete seinen jüngeren Bruder von oben bis unten.
»Gut siehst du aus. Etwas mager. Was ist das für ein Stock? Na, setz dich erst mal. Was trinkst du? Scotch?«
William nickte und setzte sich auf eine Polsterbank, während Thomas die Drinks eingoss. Er gab William ein Glas und stieß mit seinem klingend dagegen.
»Willkommen daheim, Bruder!«
»Danke, Thomas!«
Thomas setzte sich zu ihm. Nach einem Augenblick gebührenden Schweigens fragte er: »Seit wann bist du wieder in London?«
»Erst ein paar Tage.« Williams Blick ging durch den holzgetäfelten Raum, über die Regale mit juristischen Periodika. »Seltsames Gefühl, wieder hier zu sein! Kannst du dir vorstellen, dass ich über sechs Jahre fort war? Hier sieht alles noch so aus wie früher.«
»Ja. Es ist auch noch so wie früher.« Thomas sah zufrieden aus. Er war acht Jahre älter als William, ebenso groß gewachsen, aber von stärkerer Statur. Er wirkte kraftvoll, stattlich und strahlte eine überlegene Ruhe aus. Stets hatte er vernünftig und umsichtig gehandelt, hatte seine juristischen Studien zügig abgeschlossen, anschließend eine Ausbildung am Temple durchlaufen und war in die Kanzlei eingetreten, die ihm heute gehörte. Für Außenstehende schien das Verhältnis der beiden Brüder von Thomas’ Nachsicht gegenüber Williams ungestümem Wesen geprägt, dabei waren sie sich im Grunde sehr ähnlich: Thomas’ Beständigkeit und Williams draufgängerischer Mut waren zwei Seiten derselben Medaille.
Thomas bat um Williams Stock, begutachtete die solide Machart, die feine Silberarbeit des Handstücks. Auf seinen fragenden Blick hin erzählte William ihm in knappen Worten von seinem letzten Gefecht.
»Mein Pferd stürzte im Kampfgetümmel, das Schienbeinwurde mir zertrümmert, aber ich konnte entkommen und fand Schutz auf einer Plantage. Wochenlang lag ich verletzt danieder. Später habe ich dort gearbeitet, um mir das Geld für die Überfahrt zu verdienen.«
Thomas runzelte die Stirn. »Und das war alles?«
»Was soll das denn heißen?« William nahm indigniert den Stock wieder an sich. »Falls es dir entgangen ist: Das ist kein Spazierstock!«
»So habe ich es nicht gemeint«, sagte Thomas. Seine Bemerkung sollte nicht leichtfertig klingen, er wollte auf etwas ganz anderes hinaus. »Mir ist vollkommen klar, dass du einiges durchgemacht hast, Bill. Doch sieh mal, man sagte uns, du seist gefallen, tatsächlich warst du monatelang verschollen. Und jetzt plötzlich stehst du vor der Tür, wohlauf und eleganter denn je! Natürlich schuldest du niemandem Rechenschaft, aber man fragt sich doch, was du die ganze Zeit gemacht hast.«
»Wie ich schon sagte«, meinte William zögernd, »ich habe auf einer Plantage gelebt. Auf Legacy wurde gut für mich gesorgt. Als ich wieder gesund war, wollte ich mich erkenntlich zeigen. Das Land war nach dem Krieg verwüstet, es gab viel zu tun.«
»Du wirst wohl kaum als Landarbeiter auf dieser Plantage gearbeitet haben.«
»Nein, das nicht«, sagte William, der bezweifelte, dass sein Bruder sich vorstellen konnte, mit welchen Schwierigkeiten der Wiederaufbau von Legacy verbunden gewesen war. »Im Grunde habe ich dafür gesorgt, dass der Betrieb wieder zum Laufen kam, habe Arbeitskräfte organisiert, mich um die Finanzierung gekümmert. Ich war der Verwalter.«
»Anscheinend hattest du ein anständiges Einkommen«, stellte Thomas mit Genugtuung fest. »Du musst deine Sache gut gemacht haben. Warum wolltest du nicht bleiben?«
»Ich habe mit dem Gedanken gespielt«, sagte William nachdenklich. »Ich hatte auf Legacy einiges erreicht, die Arbeit gefiel mir. Es ist mir nicht leichtgefallen, wieder fortzugehen …Die Jahre in Amerika sind nicht spurlos an mir vorübergegangen, manches sehe ich seither mit anderen Augen. Weißt du, die Menschen dort sind nicht wie wir, Thomas. Sie haben einen unverstellten Blick auf das Leben und besitzen einen ausgeprägten Realitätssinn und ein Maß an Idealismus, zu dem wir gar nicht mehr fähig sind. Sie wissen, worauf es in einer Gesellschaft ankommt, und handeln danach – zu meinem Glück; denn so wie wir mit den Rebellen verfahren waren, hätte ich in ihren Augen hundertmal den Tod verdient! Doch gerade die, denen wir am schwersten zugesetzt hatten, haben mir am Ende das Leben gerettet, haben Böses mit Gutem vergolten. Und
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