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Die Plantage: Roman (German Edition)

Die Plantage: Roman (German Edition)

Titel: Die Plantage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Tarley
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Thomas. »Ich dachte nur, falls es etwas gibt, worüber du reden möchtest …«
    »Nein!«
    »Na gut, ich lass dich in Ruhe.«
    Thomas setzte sich in einen Sessel, holte seine Tabaksdose hervor, schnupfte zwei Prisen, schnäuzte sich geräuschvoll und steckte sein spitzenbesetztes Taschentuch wieder in den Rockärmel. Danach herrschte Schweigen. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie je zuvor über persönliche oder intime Dinge gesprochen hätten. Williams Verhältnis zu dem älteren Bruder war in erster Linie von Respekt geprägt; obwohl sie einanderzugetan waren, gestattete er sich keine vertraulichen Äußerungen. Als Erwachsene hatten sie sich nicht mehr oft gesehen, auch aus Amerika hatte William nur wenige lakonische Briefe geschrieben. Nun fand Thomas ihn verschlossener denn je, und er bezweifelte, ihn mit seinen Worten erreicht zu haben.
    Doch er hatte ihn erreicht, und seine Gelassenheit half William, die Abwehrhaltung aufzugeben, hinter der er sich unweigerlich verschanzte, sobald ein Gespräch an seine Folter zu rühren drohte. Nachdem Thomas von ihm weder Bekenntnisse noch Erklärungen verlangte, konnte er sich entspannen.
    »Du verstehst, Thomas, dass es Dinge gibt, über die ich nicht spreche; es würde doch nichts ändern.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht«, sagte Thomas. »Doch manchmal hilft ein neuer Blickwinkel. Ich weiß nicht, was dir passiert ist. Aber wie schlimm es auch war, William: Es ist vorbei! Lerne, damit zu leben. Einen besseren Rat kann ich dir nicht geben.«
    Thomas ließ Tee bringen. Sie sprachen über die Familie und über alte Freunde in Lancashire, Thomas erzählte von seiner Arbeit in London. Die Spencers hielten einen Sitz im Parlament, den Thomas als Familienoberhaupt innehatte. In alter Tory-Tradition vertrat er eine konservative politische Auffassung. Was die Entwicklungen in den abtrünnigen Kolonien anbetraf, befürwortete er den uneingeschränkten Machtanspruch Englands, das seit Kriegsende eine viel schwerer wiegende Kontrolle der amerikanischen Staaten anstrebte als die lange Leine der früheren Kolonialpolitik.
    Zu seinem Erstaunen stieß er bei seinem Bruder auf Widerspruch. William verteidigte den amerikanischen Standpunkt und die Unabhängigkeit der dreizehn Staaten und kritisierte die restriktive englische Handelspolitik.
    »Es ist beschämend, mitansehen zu müssen, wie England eine Sanktion nach der anderen gegen seine ehemaligen Kolonien verhängt. Die aufgeklärten Länder Europas haben die FreiheitAmerikas längst als Faktum anerkannt. Sie unterstützen das noble Experiment, dass sich ein souveräner Staat allein durch den Bürgerwillen legitimiert.«
    »Gütiger Himmel, William, jetzt sprichst du wie ein Whig!«, verwahrte sich Thomas. Im Stillen begrüßte er es, dass William von seiner politischen Arroganz Abstand genommen hatte und erstmals echtes Engagement an den Tag legte.
    Hingegen musste William sich eingestehen, dass seine geistige Heimat nicht mehr in England lag; er hatte erst zurückkehren müssen, um das zu begreifen.
    Sie verabredeten sich für einen der kommenden Tage zum Lunch. Dann trennten sie sich in brüderlichem Einvernehmen.
    Nachdem William am Morgen alleine ausgegangen war, wusste Néné nichts mit sich anzufangen. Er langweilte sich und war in Gedanken bei den Schiffen am Hafen. Irgendwann konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen und lief davon.
    Strahlend schön lag die Tristar am Pier. An Bord waren die Vorbereitungen für die Rückfahrt im vollen Gange. Der Quartiermeister überwachte unten am Fallreep die Proviantierung. Der gut angezogene schwarze Junge war ihm gleich aufgefallen, er winkte ihn heran und sagte: »Dir gefällt wohl unser Schiff ?«
    »Oh ja, Sir!«
    »Dann sieh sie dir noch einmal gut an. Wir segeln nämlich in drei Tagen nach Amerika.«
    Néné seufzte sehnsüchtig. »Ich will auch nach Amerika. Würden Sie mich mitnehmen?«
    Der Quartiermeister lachte auf. »Klar!«, rief er und klopfte Néné derb auf die Schulter.
    Néné riss die Augen auf. »Wirklich?«
    »Sicher, Junge. Du kannst mir gleich die Überfahrt bezahlen.«
    »Bezahlen?« Nénés Enthusiasmus erlosch augenblicklich. »Ich habe kein Geld.«
    »Dann verdiene dir welches! Arbeit gibt’s hier genug.«
    Er meinte das Getriebe zwischen Frachthafen und Speicherhäusern, wo sich Kinder und Halbwüchsige als Laufburschen, Handlanger oder Lastenträger betätigten. An den großen Piers wurden ständig Gelegenheitsarbeiten vergeben. Néné fasste

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