Die Plantage: Roman (German Edition)
Spencer? Es war von Erschießungen die Rede, von Vergewaltigungen, Auspeitschen, Skalpieren! Wie konnten Sie es dazu kommen lassen?«
»Miss Trenton, ich denke, das Ganze ist etwas komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint.«
»Oh bitte!« Entnervt wollte sie sich abwenden, aber er hielt sie am Arm fest.
»Hören Sie, ich leugne nicht, was geschehen ist. Doch bevor Sie urteilen, möchte ich Ihnen etwas erklären.«
Wie er in finstrem Schwarz und auf den Stock gestützt vor ihr stand, war etwas Tragisches um ihn, das sie gegen ihren Willen für ihn einnahm. »Also schön«, sagte sie, »ich höre Ihnen zu.«
Mit einer Verneigung gab er ihren Arm frei. Er bedachte sich. »Der Krieg verändert unsere Maßstäbe«, begann er. »Anfangs hat man keine rechte Vorstellung, was einen erwartet. Dann ist es auf einmal so weit, man zieht in die Schlacht und muss kämpfen – in erster Linie, um zu überleben, vergessen Sie das nicht; man kämpft, um nicht selber der Gewalt zum Opfer zu fallen. Dabei lernt man schnell, dass Gewalt ein schreckliches, aber sehr wirkungsvolles Mittel ist, um schlimme Dinge von sich selbst und von seinen Leuten abzuwenden. Man hat gar keine Wahl und tut immer mehr schlimme Dinge, auch der Gegner tut es, dabei wollen alle nur, dass es irgendwann aufhört. Aber man hat gelernt: Gewalt ist das einzige Mittel gegen Gewalt. Einen Krieg kann nur gewinnen, wer dieses Prinzip nicht hinterfragt. Wenn man erst anfängt, sich darüber Gedanken zumachen, kommt man ganz schnell an den Punkt, an dem man nicht mehr bereit ist, noch weitere Opfer zu bringen. In dem Moment hat man verloren.«
Beatrice war schockiert. Als wollte sie sich vor seinen Worten schützen, hob sie ihren Fächer vors Gesicht und blickte ihn über den Rand aus feiner Spitze hinweg an.
»Verstehen Sie mich richtig, Miss Trenton, ich möchte nichts entschuldigen. Ich versuche, Ihnen nur vor Augen zu führen, dass man mit moralischer Entrüstung der Sache nicht gerecht wird. Im Krieg tun Menschen furchtbare Dinge, weil sie unter furchtbaren Bedingungen überleben wollen. Ob das, was sie tun, richtig oder falsch, gut oder böse ist, die Frage stellt sich unter solchen Umständen nicht. Die allgegenwärtige Lebensgefahr setzt jeden menschlichen Konsens außer Kraft, das sind die Mechanismen eines Krieges: Konfrontieren Sie jemanden lange genug mit Gewalt, und er wird gewalttätig, auch wenn er im Grunde kein böser oder ehrloser Mensch ist. Meine Soldaten waren keine Barbaren; es waren einfache Männer, junge Burschen, Familienväter, der gute Durchschnitt. Sie wurden für den Patrouillendienst gedrillt und bekamen klare Befehle. Trotzdem sind Aktionen außer Kontrolle geraten. Und wissen Sie, warum? Weil die Männer unter enormem Druck standen; täglich starben ihre Kameraden bei Überfällen; als Offizier musste man damit rechnen, dass man seine Leute in einen tödlichen Hinterhalt führte. Alle hatten Angst, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben.« Er sah sie gerade an. »Ja, es kam zu Übergriffen, jeder weiß das. Wir haben die Rebellen gejagt und auf der Flucht erschossen, ihre Angehörigen misshandelt, ihre Helfershelfer gehenkt. Aber nicht, weil wir blutdurstige Bestien waren, sondern weil unser Leben von Kampf und Gewalt bestimmt wurde. Gewalt setzt etwas Untergründiges, Verborgenes in uns frei. Sie veranlasst uns, Dinge zu tun oder hinzunehmen, die wir unter normalen Verhältnissen verabscheuen würden. Die wenigsten sind dagegen gefeit.«
Beatrice konnte nicht fassen, wie gelassen er all die Schandtaten zugab. Sie hatte sich lange geweigert, Gerüchten über seine Ruchlosigkeit Glauben zu schenken. Sie wollte sich ihre hohe Meinung von dem draufgängerischen jungen Dragoon, in den sie als Vierzehnjährige verliebt gewesen war, bewahren. Inzwischen hatte sie längst eingesehen, dass William Spencer nicht die Verkörperung des romantischen Ideals war. Doch er war ihr nicht gleichgültig, und wenn er sie heute gebeten hätte, ihm zu vergeben, sie hätte ihm seine Verfehlungen verziehen. Stattdessen redete er von Angst und Gefahr, scheute sich nicht einmal, einen obskuren Hang zu Gewalt als Vorwand zu nehmen, um sich aus der Affäre zu ziehen. Es war enttäuschend.
William bedauerte schon, sich so freimütig zu ihren Vorwürfen geäußert zu haben. Beatrice musste ihn für einen gewissenlosen Kerl halten, der, anstatt Reue zu zeigen, sie mit seiner Kaltblütigkeit beeindrucken wollte. Jedenfalls hatte er sich ihre
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