Die Plantage: Roman (German Edition)
tot.«
»Was macht dann dein Herr auf der Plantage von Miss Antonia?«
»Er ist der Verwalter. Lieutenant Farell und die Soldaten vom Fort nennen ihn Colonel.«
»Ein Colonel? Warum ist er nicht mehr bei der Armee?«
»Weil er im Krieg arg verletzt wurde«, sagte Néné. »Sein Bein ist nicht mehr gut geworden, darum braucht er auch denStock.« Träge vom Wein, zuckte er die Achseln. »Aber das andere ist noch schlimmer.«
»Das andere?«
Als Roscoe fragend den Kopf zur Seite neigte, erklärte Néné: »Ich bediene ihn beim Ankleiden, da sehe ich diese vielen Narben auf seinem Körper.« Er fuhr sich mit den gespreizten Händen über den Brustkorb und verzog schaudernd das Gesicht. »Das waren lauter Schnitte, überall, ganz schrecklich!«
Roscoe wollte nicht glauben, was er da hörte. »Sag, Junge, hast du eine Ahnung, wo dein Mr. Marshall eigentlich herkommt?«
Jetzt musste Néné erst nachdenken. »Charlene sagt, er kommt aus New York, aber das stimmt nicht. Unser Schiff hat erst in New York gehalten, doch da wollte er nicht hin. Wir sind gleich weitergefahren nach Ink Land . Mr. Marshall wollte hierher, nach London. Er kennt jede Straße und jeden Platz in dieser Stadt. Und jeden Abend geht er aus.«
Er hatte also richtig verstanden: Spencer war am Leben, und er war in London! Roscoe wusste, was das für ihn bedeutete. Ein Lidschlag seiner schönen Augen, dann stand er auf und schritt mit schwingenden Rockschößen zur Mitte des Saales, drehte sich herum und rief zum Altan hinauf: »Gibbs! Erklären Sie dem Jungen, was er später auf dem Fest zu tun hat. Danach bringen Sie ihn mir.«
Er vollendete die Drehung und ging weiter, direkt auf einen Wandteppich zu, ein verschossener Gobelin, der dem infernalischen Kamin gegenüber hing. Ohne den Schritt zu verlangsamen, schlug er den Gobelin beiseite und verschwand durch einen steinernen Torbogen, der sich in der Mauer dahinter befand und von dem zurückfallenden Wandteppich wieder verdeckt wurde.
Als die Schritte verklungen waren, rief Gibbs vom Altan: »Du hast gehört, was der Master gesagt hat. Also komm jetzt rauf !«
Néné steckte sich ein paar Stücke Brot in die Jackentaschen, dann stieg er zum Altan und folgte Gibbs durch verzweigte Gänge zu einem Trakt der Burg, in dem sich die Wirtschaftsräume befanden. Küchengerüche, allerhand Klappern von Töpfen und Pfannen und Stimmenlärm sagten ihm, dass Vorbereitungen für ein großes Essen im Gange waren.
Gibbs führte ihn in eine Wäschekammer und suchte aus einem Schrank für Livreen und Arbeitskittel ein paar Sachen heraus. Er gab Néné das Kleiderbündel und befahl ihm, sich umzuziehen, dann ließ er ihn allein. Die Kostümierung bestand aus weiten goldgelben Pluderhosen, dazu einem kurzen, ärmellosen grünseidenen Wams, einer Art Bolero mit goldenen Fransen, und Sammetpantoffeln mit aufgebogenen Spitzen. Néné legte die weiten Hosen und den Bolero an und schlüpfte in die Pantoffeln. Sofort fröstelte er.
Gibbs kam wieder herein und betrachtete ihn mit anzüglichem Grinsen. »Der Master wünscht, dass du im Bankettsaal als Haremssklave den Gästen zu Diensten bist – du weißt doch, was man da von dir erwartet?« Als Néné verständnislos den Kopf schüttelte, erläuterte Gibbs: »Als Haremssklave musst du den Damen und Herren zu Willen sein.«
Aber Néné schien ihm nicht folgen zu können. Da fragte Gibbs, ob man ihm auf der Plantage nicht beigebracht habe, auf welche Arten er einen Mann oder eine Frau körperlich befriedigen könne; er gebrauchte andere Worte, Néné fühlte sich schlecht dabei. Gibbs lachte nur und beschrieb dann anschaulich, von derben Gesten untermalt, was Néné etwa wissen sollte, um die ihm bevorstehende Aufgabe zu erfüllen. Néné wünschte, man sperrte ihn wieder in das Verlies über dem Abzugsgraben. Aber Gibbs brachte ihn in den Donjon.
Um den zentralen Spieltisch unter der Kuppel brandete Beifall: Ronald York war es mit unverschämtem Glück gelungen, die Bank in Bedrängnis zu bringen. Der verantwortliche Croupierhatte seinen Gehilfen zu Merryman um Instruktionen gesandt, ob an seinem Tisch weitergespielt werden könne. Da das Spiel unterbrochen wurde, orderten Ronnies Mitspieler Champagner. Und während die Croupiers machtlos zusahen, feierten die jungen Dandys die Glückssträhne ihres Freundes gleich an Ort und Stelle, auf dem grünen Filz des Spieltischs.
Merryman kam dazu und erfasste die Situation mit einem Blick. Er fragte, wer der Gewinner des
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