Die Plantage: Roman (German Edition)
jungen Amerikaners als alkoholbedingte Aufgekratztheit ignorieren oder sich provoziert fühlen sollte. Dabei ließ sein Blick zweifelsfrei erkennen, dass er eine Erklärung erwartete.
»Sir, wir wollten Sie nicht verärgern«, entschuldigte sich auch schon der Bärtige. »Wir hatten gewettet, ob ein Engländer Whiskey oder eher Brandy trinkt. Und da wir einen Gentleman wie Sie, Sir, insoweit als Gewährsmann betrachten, waren wir gespannt, was Sie ordern würden.«
»Ich habe auf Brandy getippt und gewonnen!«, ergänzte sein jüngerer Bruder munter. Weil William humorlos schwieg, setzte er hinzu: »Bitte gestatten Sie uns, Sie auf diesen Drink einzuladen.«
William nickte gnädig, und die Sache war aus der Welt.
»Wir sind Amerikaner, aus Charles Town, South Carolina«, sagte der junge Mann voll Stolz. »Wir waren eine Weile auf Barbados, haben den alten Familienbesitz wieder in Schwung gebracht.« Er verneigte sich formell. »Ich bin Frederick Shaughnessey, und dies ist mein Bruder Tobias.«
Natürlich Shaughnesseys! William lächelte kopfschüttelnd. Wie klein war doch die Welt.
»Sehr erfreut, meine Herren! Mein Name ist William Marshall.« Man trank sich zu. »Was tun zwei junge Pflanzer aus Barbados in Funchal?«, fragte er mit echtem Interesse.
Der Bärtige, Tobias, erklärte: »Wir sind auf dem Weg nach Le Havre-de-Grace, morgen fährt unser Schiff weiter. Fred will die Zuckerplantage weiterführen und muss neue Handelspartner in Europa gewinnen. Ich begleite ihn und werde mich eine Weile umtun, in Frankreich, vielleicht in Russland.«
»Möchten Sie denn keine Plantage aufbauen?«, fragte William, der in Tobias den jungen Frank Shaughnessey erkannte. »Nach dem Krieg gibt es genug brachliegendes Land. Ein unternehmender Geist wie Sie, Mr. Shaughnessey, könnte da sein Glück machen.«
»Andere waren leider schneller«, sagte Tobias nüchtern. »Reiche Bodenspekulanten aus dem Norden, die noch reicher werden wollten, haben den größten Schnitt gemacht.«
»Die Charles Towner Pflanzer waren selber schuld, auch unser alter Herr!«, meinte Frederick. »Wenn die Karten neu gemischt werden, muss man zugreifen! So eine Gelegenheit darf man sich nicht entgehen lassen.«
»Was soll das heißen, Fred? Hätte Dad die Notlage seiner Nachbarn ausnutzen sollen? Um sich am Ruin anderer zu bereichern, wie Hocksley, wie Vandoussen …?«
»Das habe ich nicht gesagt, Toby. Ich spreche von Landaufkäufern, die Stück um Stück ganze Landstriche an sich gebracht haben. Wie hätten sonst diese Riesenplantagen am Ashley und Cooper River entstehen können? Männer wie Clayburn oder Reed, die haben gewusst, wie man investiert.«
William musste sehr an sich halten. »Reed?«
»Ein geschäftstüchtiger Händler aus Virginia«, erklärte Toby. »Er besitzt das meiste Plantagenland weit und breit.«
»Es gab einen Captain Reed … bei der Miliz.«
»Das ist er. Reed kam nach Charles Town, als die Briten die Nordstaaten besetzten. Er machte im Handel ein Vermögen.Am Ashley River hat er im großen Stil Land gekauft. Heute gehört ihm ein sagenhaftes Anwesen, Hollow Park, gigantische Anbauflächen für Reis, Tabak und Baumwolle.«
»Er lebt am Ashley River?«, fragte William, um sicherzugehen.
»Allerdings. Er verlässt Hollow Park so gut wie nie«, sagte Toby und schüttelte mitleidig den Kopf. »Dad nennt ihn einen höflichen Sonderling. Tja, Geld allein macht anscheinend nicht glücklich!«
William trank aus, wünschte den Shaughnesseys eine gute Weiterreise und ging hinaus. Die Mole ragte verlassen ins Meer, im Westen stand die Sonne tief am Horizont. William schritt rasch den Steinwall entlang bis zum Leuchtturm, kehrte um, ging den Weg zurück bis ans Ende der Hafenpromenade und hastete erneut zum Leuchtturm hinaus. Er forcierte seinen Gang, weit ausschreitend stützte er sich schwer auf seinen Stock und konnte doch nicht mit seinen rasenden Gedanken Schritt halten. Welche Ironie, dass er immer dann, wenn er sich von seinen Racheverlangen befreit zu haben glaubte, die Fährte seiner Peiniger kreuzte. So war es auch, als er nach England kam; er wollte in der Heimat Abstand vom Trauma der Folter gewinnen, und traf auf Oliver Roscoe.
Der arme Néné fiel Roscoes Bosheit zum Opfer, trotzdem ließ William ihn laufen. Die Vergangenheit sollte ruhen, er wollte endlich Frieden finden. Er war entschlossen gewesen, zu Antonia zurückzukehren und auf Serenity Heights mit ihr ein neues Leben zu beginnen. Und nun erfuhr er,
Weitere Kostenlose Bücher